Kreuzberger Chronik
März 2022 - Ausgabe 237

Herr D.

Der Herr D. und der Falschparker


linie

von Hans W. Korfmann

1pixgif
Der Herr D. wohnte in einem Mietshaus, das, wie alle alten Kreuzberger Häuser, neben dem Eingang mit den Namensschildern für die Mieter noch eine Hofeinfahrt besaß. Dass die Zufahrt noch genutzt wurde, darauf wies ein Schild an der Einfahrt hin, das trotz seiner Größe in Anbetracht fehlender Parkplätze gerne übersehen wurde. So kam es immer wieder vor, dass der Apotheker aus dem vierten Stock seine Apotheke im fernen Tempelhof nicht pünktlich aufschließen konnte, da der Abschleppdienst am frühen morgen nicht so schnell auf den Beinen war.

Kürzlich - der Herr D. saß gerade nebenan im Café - sah er die Nachbarin mit ihrem kleinen Pkw vor der Einfahrt stehen und erregt gestikulieren. Neben ihr hoben zwei Polizisten hilflos die Schultern. Als die Nachbarin den Herrn D. sah, kam sie herüber und fragte, ob er wisse, wem das Auto gehöre, das in der Einfahrt parkte.

Der Herr D. schüttelte den Kopf, aß noch zwei Stück Schwarzwälder, bis sich der Menschenauflauf vor der Einfahrt aufgelöst hatte und das rote Auto der Nachbarin auf die Straße hinausrollen konnte. Einige Tage später traf er die Griechin mit der Kanzlei im Erdgeschoss, die ihm aufgeregt alles erzählte: »Es ist mir so peinlich!«, sagte sie. Der Herr D. versuchte, sie zu beruhigen: »Sie sind doch nicht dafür verantwortlich, wenn der griechische Botschafter sein Auto falsch parkt.«

Der Botschafter hatte nur einige Dokumente übergeben wollen, aber dann war man ins Plaudern gekommen, ganz nach griechischer Art, über das Wetter, die Politik, das Essen. Man kannte sich, feierte Namenstage zusammen und Ostern, und so verging eine gute halbe Stunde, während der die Polizisten immer wieder auf das Nummernschild des Corpus Delicti deuteten, den Kopf schüttelten und der Nachbarin erklärten: »Da ist nichts zu machen, das ist eine Diplomatennummer! Den dürfen wir nicht abschleppen.«

»Kürzlich«, erzählten sie, »haben wir einen aus der russischen Botschaft angehalten, im Cabrio, mit Goldkettchen hier und Goldkettchen da, vollkommen betrunken. Ihre Papiere bitte.... Der Mann weigert sich. Ihre Papiere bitte - Er weigert sich und beruft sich auf seinen Diplomatenstatus. Da beug´ ich mich rüber und zieh ihm den Schlüssel aus dem Zündschloss. Und was glauben Sie, was der macht? Der grinst mich breit an und greift ins Handschuhfach. Ich dachte schon, jetzt holt er die Knarre statt der Papiere heraus, aber er hielt nur irgendwas Kleines in der geschlossenen Hand. Und einen Moment später, als ich nicht aufpasse, steckt er einen Zweitschlüssel ins Zündschloss, startet und gibt Gas. Und glauben Sie, das hätte vielleicht irgendein Nachspiel gehabt? Nichts!« -»Und dann«, fuhr die Nachbarin fort. »sahen Sie eines Tages den Cabrio am Straßenrand, und hatten zufällig noch immer den Erstschlüssel in der Tasche....«

zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg