Kreuzberger Chronik
September 2019 - Ausgabe 212

Herr D.

Der Herr D, der Heinz und der Ralph


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von Hans W. Korfmann

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>Der Herr D. saß gerne mit Heinz vor der Markthalle, seine übellaunigen Kommentare erheiterten den Herrn D. nachhaltig. »Ich habe Ihnen doch gerade schon erklärt,« sagte Heinz ins Telefon, »dass ich 200 Euro Rente bekomme und davon kaum Aktien kaufen kann. Verstehen Sie das?« Der Herr D. konnte die quasselnde Stimme am anderen Ende der virtuellen Leitung deutlich hören. Heinz legte die Hand auf das Mikrophon und sagte: »Ich habe mal bei diesem Aktienbörsenspiel von der Commerzbank mitgemacht. Da kriegst du 200.000 Euro Spielgeld und kannst dann im Internet auf einem simulierten realen Markt irreale Aktien kaufen. Wer am Ende des Jahres am meisten irreales Geld verdient hat, bekommt dann einen realen Jaguar. Seitdem klingelt ständig das Telefon, weil irgendein Commerzbankangestellter mir ein Aktienpaket verkaufen will. Und den Jaguar hab´ ich immer noch nicht. Andere haben eben mehr Glück.«

»Das stimmt!«, sagte der Herr D.

»Also hab ich kürzlich meinen Vertrag bei 1und1 gekündigt. Schriftlich. Rechtzeitig, drei Monate vor Ablauf des Jahres. Und die schicken mir auch gleich eine Bestätigung der Kündigung per Email. Aber nach Ablauf der dreimonatigen Kündigungsfrist stelle ich fest, dass ich immer noch telefonieren kann, und dass ich immer noch ins Internet komme. Also ruf ich da an und frage, was los ist. Ja, ich hätte das Kleingedruckte nicht gelesen, da stünde, dass ich mich 14 Tage nach Eingang der Kündigungsbestätigung noch einmal telefonisch hätte melden müssen!«

Heinz legte eine Kunstpause ein, kniff die Lippen zusammen und nickte. Dann fuhr er fort: »Ich ruf einen Anwalt an, der sagt, das sei Blödsinn, die würden das immer wieder auf diese Tour versuchen. Also ruf ich wieder an, und dann klickt es und klickt es, ich werde mal hierhin und mal dorthin verbunden, und dann sagt mir einer: Ja, haben Sie denn mal auf Ihre Vertragsnummer gesehen?«

Die Firma hatte ihm die Kündigung aus einem älteren Vertrag zugeschickt, der schon lange ausgelaufen war. Er hätte die Vertragsnummern kontrollieren »und sofort reklamieren müssen! Das ist nun leider Ihr Versäumnis!«, bedauerte die Stimme am Telefon. Heinz legte auf. Und deshalb klingelt das Telefon von Heinz immer noch, wenn die Kommerzbank mal wieder ein Aktienpaket verkaufen will.

»Und das Schlimmste ist: Mit Ralph, diesem Milliardär, dem diese blöde Firma jetzt gehört, bin ich in Montabaur auf der Schule gewesen. Fachschule für Elektrotechnik... Immer nur abgeschrieben...«

»Andere haben eben mehr Glück!«, zitierte der Herr D. seinen Freund. Aber Heinz schwieg. •


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