Kreuzberger Chronik
März 2019 - Ausgabe 207

Herr D.

Der Herr D. und die Gelbwesten


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von Hans W. Korfmann

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Was Parkscheinautomaten mit der Revolution zu tun haben

Der Herr D. sah aus dem Fenster. Es war dunkel, unten auf der Straße standen vier Menschen unter Regenschirmen vor einer blauen Säule und versuchten, mit Hilfe einer Taschenlampe den Text auf dem Parkscheinautomaten zu entziffern und eine Münze in den Schlitz zu werfen. Nach etwa zehn Minuten stiegen sie wieder in ihr Auto und fuhren davon.

Am nächsten Morgen traf der Herr D. den Nachbarn aus dem Nebenhaus, der auf seinem Balkon einen Kubikmeter Holz lagerte - für den Fall, dass Putin einmal das Gas abdrehte. »Naja!« , sagte der Altlinke, »Ein Euro die Stunde fürs Parken ist eigentlich nicht zu viel. Andererseits sind diese Automaten natürlich wieder nur so ein Instrument, mit dem sie uns das Geld aus der Tasche ziehen können, wenn es knapp wird in der Haushaltskasse. Dann drehen sie ein bisschen an der Schraube und erhöhen die Gebühren. Genau wie bei der Rundfunkgebühr. Das einzige Mittel gegen so was ist die Revolution!«

Beim Kaffee in der Markthalle traf der Herr D. Philippe, den Franzosen. Sie saßen schweigend vor den großen Glasscheiben und sahen durch den Regen den vier Männern in ihren gelben Westen zu, die von Auto zu Auto gingen und Parkscheine kontrollierten.

»Das sind die deutschen Gelbwesten!«, sagte Philippe und klopfte sich auf seine regennassen Hosen. »So sind sie, die Deutschen! Bei uns geht das Volk in gelben Westen auf die Straße, um gegen Armut und Ungerechtigkeit zu demonstrieren, und hier gehen sie spazieren, um abzukassieren. Und keiner sagt was dagegen.«

»Ihr seid ja auch genetisch vorbelastet!«, sagte Angelika, die gerade vorbeikam und immer hellhörig wurde, wenn irgendwo auf dieser Welt das Wort Revolution fiel.

»Wir hatten ja auch eine Revolution, 1848!«, sagte der Herr D.

»Drei Tage lang!«, sagte Angelika. »Dann war der Spaß vorbei!«

Philippe bestellte Bier. Sie tranken und überlegten, wie viel Geld das Ordnungsamt wohl gerade eingenommen hatte. Und was es damit anfangen würde. »Begegnungszonen bauen!«, sagte Angelika.

Da kam Astrid. Astrid war bei ihrer Freundin gewesen, die mit Fieber im Bett lag. Sie hatte ihr Tee und Obst gebracht. »Eine halbe Stunde, fünfzig Cent! Aber als ich zurückkomme, hab ich ein Knöllchen! Wegen fünf Minuten! Zwanzig Euro!« Die kleine Runde in der Markthalle wurde schnell immer größer, jeder hatte eine Geschichte über die blauen Automaten zu erzählen.

»Aber eigentlich haben wir ja über die Revolution sprechen wollen!«, sagte Angelika, als alle weg waren. »Über Strafzettel regt sich doch jeder normale Spießer auf.«

»Stimmt!«, sagte Philippe. »Aber wir brauchen diese Spießer, wenn wir den Spieß mal umdrehen wollen. Die sind die Mehrheit!« •


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