Kreuzberger Chronik
April 2008 - Ausgabe 96

Herr D.

Herr D. und der Paketzusteller


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von Hans W. Korfmann

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Eigentlich mied der Herr D. Menschen in Uniformen. Gleichgültig, ob es sich um Soldaten, Polizisten oder Postbeamte handelte. Nur bei dem Paketzusteller machte er eine Ausnahme. Wo immer er ihn traf, ob auf der Straße, beim Sonntagsspaziergang mit seinen Kindern oder während der Kaffeepause beim Bäkker, stets wechselten sie ein paar Worte. Seit zehn Jahren hatte der Mann immer einen Weg gefunden, die Pakete für Herrn D. zuzustellen. Wenn er nicht da war, deponierte der Beamte das Paket bei den Nachbarn, oder er ließ die Sendung im Zeitungsladen gegenüber. In dem kleinen Geschäft des türkischen Zeitungshändlers stapelten sich die Pakete bisweilen bis zur Fensterbank. Wäre der Zeitungsverkäufer ein Deutscher gewesen, hätte es diesen NachbarschaftsService wahrscheinlich nicht gegeben. Da die beiden aber Landsmänner waren, funktionierte das System. Und es profitierte sogar der deutsche Postempfänger von der Solidarität der türkischen Community. Schöne Blüte der Parallelgesellschaft, dachte der Herr D.

Seinen Paketlieferanten jedenfalls begrüßte er stets mit ausgesuchter Freundlichkeit. Spätestens seit der peinlichen Begegnung vor vier Jahren. Da war sein Lieferant im Urlaub gewesen, und prompt warf ihm der Vertreter eine Karte in den Postkasten. Herr D. sei nicht anzutreffen gewesen. Herr D. aber hatte mit Grippe im Bett gelegen, und als er endlich seine Buchsendung auf dem Postamt abholte, beschwerte er sich.

Zwei Tage später stand sein freundlicher Zusteller vor der Tür. Er entschuldigte sich. Es sei sein erster Arbeitstag nach dem Urlaub gewesen, er erinnere sich genau, und er hätte niemanden angetroffen, hier nicht, im Haus nicht, nirgends. – »Wissen Sie, wir verlieren unseren Job, wenn es viele Beschwerden gibt.« Herr D. war rot vor Scham geworden. Kürzlich, als es regnete, lud er ihn zum Kaffee ein. Erst zögerte er, dann setzte er sich doch. »Wenn jetzt ihr Nachbar kommt, der Meier, und sieht uns hier sitzen, dann rennt der doch gleich zu meinem Chef!« – »Ach, Sie sind jetzt seit 10 Jahren bei der Post! Die werden Sie doch nicht rauswerfen, nur weil mal einer meckert. Sie sind doch ein echter Sympathieträger. Und ne viel bessere Reklame als HeinzHarald Frentzen oder irgend so’n überbezahlter, erfolgloser FormelEinsPilot.«

Herr D. erinnerte sich, daß der Kurier manchmal mit großen Augen von den Kindern gefragt wurde, wie man Postbote wird. Und daß die Rentnerinnen zu Weihnachten kleine Geschenke für ihn hatten. Daß sie Kuchen gebacken hatten. Der Mann war so beliebt, daß ihn ein Stadtmagazin auf die Titelseite bringen wollte.

»Wann erscheint denn endlich das Porträt über Sie?«, fragte der Herr D. – »Ach!«, sagte der Postangestellte, »das klappt nicht. Wegen des Postgeheimnisses!« – »Was hat denn das Postgeheimnis damit zu tun? Sie haben doch keine Briefe geöffnet!« – »Nein, aber die Pressestelle hat untersagt, daß wir mit Journalisten über unsere Arbeit sprechen. Da müsse jemand von der Pressestelle anwesend sein. Und die von der Zeitung haben gesagt, daß sie sich mit Spitzeln nicht an einen Tisch setzen würden. Egal, ob Stasi oder Post. « – »Ach, wegen dem Zumwinkel!«, rief der Herr D. und schüttelte den Kopf, »Das ist doch eine Frechheit. Da oben betrügen sie uns um Millionen, und hier unten darf man nicht einmal die Geschichte vom freundlichen Postboten erzählen.«

»Aber verraten Sie bitte nichts!«, sagte der Paketzusteller und kippte eilig den Kaffee herunter. »Ich habe zwei Kinder, wissen Sie …«

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