Kreuzberger Chronik
Juni 2003 - Ausgabe 48

Herr D.

Herr D. und der Verlierer


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von Hans W. Korfmann

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Herr D. trank nicht nur Bier, er aß auch leidenschaftlich gerne Fleisch. Dieses Mal überkam ihn die Fleischeslust erst spät, es ging schon auf Mitternacht zu. Dennoch schwang D. sich auf sein Rad, bestellte schon in der Tür die Nummer 162 und wartete auf seinen Ouzo. Kaum hatte er getrunken, kam ein Mann an seinen Tisch und lächelte ihn an, während ein anderer Mann hinter ihm ihn am Ärmel von Herrn D.’s Tisch wieder wegzuziehen versuchte.

»Nein, Olli, nein! Heute gibt es kein Armdrücken!« – »Bitte, bitte, nur einmal!« – »Nein, heute wird kein Armdrücken gemacht!«
Herr D. war etwas beunruhigt, obwohl der lächelnde Doppelzentner eigentlich ganz friedlich aussah. Dennoch war er erleichtert, als auch der Wirt, ebenfalls ein lächelnder Doppelzentner, an den Tisch seines Stammkunden D. kam und sich setzte. Olli bewertete das als Aufforderung, sich ebenfalls zu setzen, und auch der kleine Mann an seinem Ärmel saß schließlich an Herrn D.’s Tisch. Im Grunde eine perfekte Doppelkopfrunde.

»Alles klar?«, fragte der Wirt und grinste Herrn D. an. Herr D. nickte und setzte höflich hinzu: »Bei Ihnen auch?«
»Ach«, seufzte der Grieche und zog die Augenbrauen in die Höhe, »es ist schlecht. Sehr schlecht! Die Leute haben kein Geld mehr.«
»Genau!«, sagte Olli, »kein Geld mehr! Komm, wir machen Armdrücken. Um einen Retsina!«
»Olli, Du bleibst jetzt ganz ruhig hier sitzen!« Olli machte ein beleidigtes Gesicht.
»Unter der Woche steht das halbe Lokal leer!«, sagte der Wirt.
»Weil die Leute kein Geld mehr haben!«, sagte Olli. »Komm, wir machen Armdrücken!« Olli schielte nach Herrn D.’s schwachen Bürokratenoberarmen.
»Also, wenn’s um den Retsina geht«, sagte Herr D., »ich könnte schon …«
»Es geht ja nicht nur ums Geld, man braucht ja auch mal ein Erfolgserlebnis!«, sagte Olli. »Ich bin früher für Southerby & Christie gefahren, ich habe Kunstwerke durch die Landschaft kutschiert, die kosteten Millionen. Millionen. Und jetzt? Nix mehr. Nix!«
»Olli, hör auf. Die Geschichte kennen wir alle schon!«
»Aber es ist doch wahr. Ich habe gutes Geld verdient, und jetzt haben sie einen, der kann nicht mal Armdrücken. Wiegt die Hälfte und fährt für die Hälfte!«
»Olli, hör auf. Wir haben doch alle keinen Job mehr!«
»Na, der da, dieser komische Vogel, der hat doch bestimmt noch ’nen Job!« Olli sah Herrn D. an. »Das ist doch auch so einer, der sich noch bedankt, wenn der Chef ihm sagt, daß er kein Geld mehr hat. Und daß jetzt alle für die Hälfte arbeiten müssen. Schau dir mal seine Arme an!«
Jetzt, dachte Herr D., würde Olli fragen, was er eigentlich arbeite. Und wenn D. sagen würde, daß er Beamter sei, auf Lebenszeit, im Auswärtigen … – er hätte keine Chance mehr gehabt gegen Olli.
Also krempelte Herr D. die Ärmel hoch. Herr D. war eben anders als der Kanzler. Er sah ein, daß jetzt nur noch Taten, und keine Worte mehr halfen. Die Deutschen mußten sich dieses ewige Gerede vom Zusammenhalten und Gürtel enger schnallen schon lange genug anhören.
Herr D. setzte seinen Bürokratenarm an, Olli strahlte. Er wollte Olli gewinnen lassen, der Mann brauchte dringend ein Erfolgserlebnis. Aber als er die ersten Schweißperlen auf Ollis Stirn sah, siegte der Kampfgeist über das Mitgefühl in Herrn D. Er startete einen unerwarteten Konter und gewann.
»Das hätte ich nicht gedacht«, sagte Olli, »Fährst Du auch LKW?«
»Ich bin Beamter! Beim Auswärtigen!«, sagte Herr D.
»Macht nix! Hauptsache, du bist ein Mann!« Olli reichte ihm die Hand.
Das haben sie jedenfalls gelernt, dachte Herr D. auf dem Heimweg: das Verlieren. <br>

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