Kreuzberger Chronik
November 2017 - Ausgabe 194

Essen, Trinken, Rauchen

Vom Too Dark zum unterrock


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von Horst Unsold

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Viele gibt es nicht mehr von diesen kleinen Kreuzberger Kellerlokalen, die eigentlich Souterrainlokale sind: Nur drei, vier Stufen trennen sie vom Niveau des Trottoirs, dann ist der Passant in der Unterwelt. Passend zur geographischen Lage nannten die Vorbesitzer das kleine Lokal Too Dark - vielleicht, weil es für eine Boutique oder eine Galerie nicht nur zu klein, sondern schlicht zu dunkel war. Was hätten sie anderes tun sollen, als eine Kneipe zu eröffnen?

Zwar lockte die Dunkelheit einige Lederhosen tragende Kreuzberger an, doch wirklich unterirdisch wurde es in der Fürbringerstraße nicht. Trotz der Kleinkunstbühne, trotz Konzerten und Lesungen blieb der erhoffte Kultstatus aus. Und die unkultige Mittelschicht wiederum, die seit einigen Jahren Kreuzberg zu erobern versucht, fühlte sich von der verrauchten Dunkelheit eher abgestoßen als angelockt und blieb der Fürbringerstraße lieber fern. Bis das Too Dark eines Tages im Winter 2015 ganz in der Dunkelheit verschwand und es noch ein bisschen leerer wurde in der Straße.

Jetzt allerdings, wo der unterRock die Vision umherwirbelnder Petticoats heraufbeschwört, verirren sich mitunter sogar Krawattenträger ins Souterrain mit der kleinen Bühne und dem kleinen Tresen. Auch wenn der neue Name des alten Lokals möglicherweise eher an moderne Rockmusik erinnern soll als an die tanzenden Rock´n´Roll-Blondinen der Fünfzigerjahre. Denn zum Tanzen ist es in den schmalen Gängen der Kreuzberger Unterwelt ohnehin zu eng, lediglich bei einem langsamen Blues bliebe für maximal drei eng umschlungene Paare Platz für ein paar Umdrehungen.

So wie das Too Dark besteht auch der unterRock aus zwei schmalen, nur etwas zu dunklen Räumen. Gleich links bei der Treppe ist der Tresen mit dem Zapfhahn, den Bieren, den Aschenbechern, den Barhockern und den Keepern. Dann folgt der Gastraum mit einem Sofa und einer Handvoll Stühlen und Tischen vor der Bühne, die trotz ihrer wenigen Quadratmeter Platz genug für die sechs Musiker von Paul´s Heaven bietet. Mit drei Gitarren, Bass, Schlagzeug, Akkordeon, Keyboard und Bluesharp machen sie deutlich, warum das Lokal so heißt wie es heißt – auch wenn es sich bei dem Rock, den die Generation 40 plus aus ihren Gitarren zupft, eher um eine saubere Edelvariante als um proletarischen Underground handelt. Vor zwanzig, dreißig Jahren hätten Musiker wie sie noch Karriere machen können, doch heute, wo ganz Kreuzberg voller heimlicher Heimmusiker ist, die seit vierzig Jahren vom Rock´n´Roll träumen, ist das unendlich schwer geworden. Und deshalb spielt auch Paul´s Heaven bei freiem Eintritt, ebenso wie alle anderen Bands im unterRock. Und ebenso wie damals, als es noch Too Dark hieß. •


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