September 2025 - Ausgabe 272
Herr D.
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Der Herr D. und die Schießerei
von Hans Korfmann |
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Schon wieder dieser Nachbar! Eigentlich wollte der Herr D. nur Schrippen holen. Aber kaum war er auf der Straße, stand er vor der Nachbarin: »Haben Sie das gehört? Schießerei auf der Bergmannstraße! Ich dachte, so was gibt’s nur in Neukölln, aber jetzt geht das hier auch schon los!« Der Herr D. hatte noch nichts gehört. Aber Inge. Er war noch immer nicht auf der Straße, da schrieb sie ihm auf´s Handy: »Hallo Herr D, geht es Ihnen gut? Sie wohnen doch in der Nähe der Bergmannstraße….« Der Herr D. überlegte, wieviele Menschen wohl in der Nähe der Bergmannstraße wohnten, und wie hoch die Wahrscheinlichkeit wäre, dass es ausgerechnet ihn träfe. Wahrscheinlich war die Wahrscheinlichkeit, dass der große Friedrich seinen russischen Kollegen mit seinen großkotzigen Reden so lange reizte, bis der tatsächlich Bomben aufs Regierungsviertel oder die Bergmannstraße warf, noch wesentlich höher als die, auf der Bergmannstraße erschossen zu werden. Kaum auf der Straße, kam ihm sein Freund, der alte Politologe aus dem Nachbarhaus, entgegen: »Na, Herr D., was glauben Sie?« »Ich glaube gar nichts. Und es interessiert mich auch nicht, wer da auf wen geballert hat!« »Sie sind ja wieder gut drauf heute!« »Ich wollte mir eigentlich Schrippen holen und mich nicht stundenlang über eine blödsinnige Schießerei unterhalten. Nicht einmal mit Ihnen. Jedenfalls nicht heute.« Der Politologe brummte etwas in seinen Karl-Marx-Bart und ließ ihn zu seinen Schrippen gehen. Den ganzen Tag vermied der Herr D. weitere Kontakte und nahm am Abend erst nach den Nachrichten die Fernbedienung in die Hand. Er suchte nach einer sinnvollen Unterhaltung, fand aber er keine. Gleich auf drei Sendern waren die Tatortkomissare in blutige Schießereien verwickelt, der nächste Sender zeigte eine leblose Frau in einer Blutlache auf dem Straßenpflaster, danach erschien ein Mann mit Schweißperlen auf der Stirn, der den Revolver auf eine am Stuhl gefesselte Frau richtete. Es war eine trostlose, hässliche Fernsehwelt, die die Fernsehsender ihrer Kundschaft verkauften. Selbst im Zeichentrickfilm für die unter Schlaflosigkeit leidenden Kinder zielte ein schwarzweißer Kater mit einem Gewehr auf einen Cowboy. Zum Schluss trat der neue Friedrich vor die Kameras und erzählte den Bürgern etwas von der Wiederbewaffnung Deutschlands. Als sich der Herr D. das nächste Mal auf die Straße wagte, stand wieder der Politologe vor ihm. »Und wissen Sie, woran das liegt, dass jetzt überall herumgeballert wird, Herr D.? Weil man uns nichts anderes mehr zeigt. Im Internet, im Fernsehen, in den Nachrichten. Es geht nur um Klicks und Zuschauerzahlen! Knete! Ich habe es Ihnen schon so oft gesagt: Schuld ist der Kapitalismus!« |










