Kreuzberger Chronik
März 2023 - Ausgabe 247

Geschäfte

Grützmachers alte Maschinen


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von Erwin Tichatschek

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Grützmacher, eine der ältesten Druckereien Berlins, stand vor dem Ende. Zwar belegte die 1899 von Walter Grützmacher gegründete Firma noch immer vier Etagen im Hinterhof und einen Seitenflügel des Gewerbehofes in der Bergmannstraße 68, aber die Zeiten, als in den Drucksälen im zweiten und dritten Stock Tag und Nacht die Druckmaschinen ratterten, als das Papierlager im vierten Stock bis unter die Decke gefüllt war und als in den Büros im Seitenflügel noch das ewige Geklapper der Schreibmaschinen zu hören war, die Kostenvoranschläge, Rechnungen und Reklamationen an Papierlieferanten schrieben, diese Zeiten schienen endgültig vorüber zu sein.

1999, anlässlich des 100jährigen Jubiläums der Buchdruckerei, entschloss sich Christian Grützmacher, der Enkel des Firmengründers, der eine eigene Druckerei in Frankfurt am Main betrieb, das traditionsreiche Familienunternehmen vor dem Ruin zu retten. Doch die Gesellschafter, die von der Witwe eingesetzt worden waren, nachdem sich ihr Mann freiwillig zur Wehrmacht gemeldet hatte und fürs Vaterland gestorben war, hatten die Firma allmählich zugrunde gewirtschaftet. 2007 wurde sie aus dem Gewerbeverzeichnis gestrichen.

Doch ein Jahr später betrat der Urenkel des Firmengründers die Höfe der in der Bergmannstraße, mietete sich in den alten Räumen in der 2. Etage ein und gründete mit seiner Frau die Firma Baumgarten & Grützmacher. Der Grund für den Wiedereinstieg war eine Einladungskarte von Freunden zu einer Hochzeitsfeier gewesen, die Nicolas und seine Frau eines Tages in den Händen hielten: Ein aufwendig gestalteter Kunstdruck mit einer wunderbaren Prägung, der die beiden derart faszinierte, dass sie beschlossen, die schweren Heidelberger Druckmaschinen in Berlin noch einmal anzuwerfen. Die nämlich waren für derartige Drucke bestens geeignet.

Dabei wollte Nicolas Grützmacher eigentlich nicht nach Berlin. »Immer, wenn zuhause von Berlin die Rede gewesen war, waren das schlechte Nachrichten.« Der einzige Farbtupfer in dieser grauen Geschichte war Hildegard, die Großmutter, eine flotte Witwe, die nach dem Tod ihres Mannes an der russischen Front die Geschäfte einem Gesellschafter übergab, sich ihrem Privatleben widmete, eine Vorliebe für schnelle Autos entwickelte und ein Cabriolet, einen Porsche und einen Alpha Romeo Spider fuhr. Auch für schöne Kleider hatte die Witwe ein Faible. »Meine Kinder«, erzählt der Urenkel, »haben noch lange in der Kiste mit den Stöckelschuhen, Hüten und Pailettenkleidern der schicken Hitti herumgekramt und sich verkleidet.«

Trotz aller Skepsis haben Susanne und Nicolas Grützmacher die alten Heidelberger Tiegel auf Hochglanz poliert und wieder in Betrieb genommen. Was nicht einfach war. »Ich habe Drucktechnik studiert, aber ich weiß noch nicht einmal, wie man dieses Monstrum in Betrieb setzt.« Wenn eine der alten Maschinen gebraucht wird, um eines dieser papiernen Kunstwerke zu drucken, die Baumgarten & Grützmacher heute herstellen, dann kommt Herr Albrecht. Hans Albrecht ist Drucker alter Schule und eigentlich längst in Pension, aber auf Abruf stets bereit, auszuhelfen, wenn eine Druckerei eine der alten Maschinen anwerfen muss, weil die Kundschaft eine exklusive Visitenkarte oder eine unvergessliche Hochzeitseinladung wünscht. »Für so etwas brauchen wir eine Woche«, sagt Nicolas Grützmacher und zeigt eine Karte, die vor einem sternenübersäten Abendhimmel die rot-weiß gestreiften Spitzen leuchtender Zirkuszelte zeigt, zwischen denen ein Luftballon aufsteigt, der verkündet: Print lebt! «

Baumgarten & Grützmacher drucken nicht nur. Ihre Karten sind habtische und manchmal auch olfaktorische Erlebnisse, sie sind etwas für Menschen mit Fingerspitzengefühl und feinen Sinnen. Dass seine alten Maschinen einmal derartige Kunstwerke produzieren würden, konnte der Firmengründer 1899 nicht ahnen. Obwohl auch er Sinn fürs Besondere besaß und an der Universität der Künste in Berlin eigentlich Grafik studiert hatte. Da die Druckereien seine Ideen nicht umsetzen konnten, gründete er eine Firma zur Herstellung von Druckvorlagen und war damit so erfolgreich, dass er sich ein Sommerhaus am Zeuthener See kaufen und in der Blücherstraße 22 eine eigene Druckerei einrichten konnte. Schon damals muss er ein ganzes Regiment an Druckmaschinen aufgestellt haben, jedenfalls beschwert sich 1923 die Stockfabrik Kreslawski bei der Polizei über die Buchdruckerei, die »Maschinen von 150 Centner und mehr« aufgestellt habe und beim Betrieb »derselben riesige Erschütterungen« verursache. Eines Tages fiel eine Schicht Kalk von der Decke, »ungefähr ein Meter Fläche und circa 75 Pfund schwer.« Kleinlaut antwortete Grützmacher, dass er einen großen Teil der Maschinen in den Keller verbracht habe.

Noch vor dem Krieg zog Grützmacher an die Alte Jakobstraße, wo er Wohnsitz und Fabrik vereinte, bis im Februar 1945 eine Bombe alles wieder zerstörte. Heute steht an der Stelle der Druckerei das Jüdische Museum. Nach dem Krieg zog er in die Bergmannstraße bis zu 90 Angestellte beschäftigte die Druckerei Grützmacher in den fetten Jahren des Wirschaftswunders.

Dann begann der Siegeszug der Computer. 2007 war es vorbei mit der großen Druckerei. Der Name wäre längst vergessen, hätte sich nicht der Urenkel daran erinnert, dass in der Bergmannstraße noch diese schweren, schwarzen Maschinen standen. Und so gibt es noch heute: Baumgarten & Grützmacher.



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