Kreuzberger Chronik
Juni 2023 - Ausgabe 250

Hausverbot

Der überschaubare Laden


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von Michael Unfried

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Es begann, wie so oft, im Leierkasten. Der Wirt hieß nicht mehr Kurt, er hieß jetzt Bernd, und einer seiner besten Kunden hieß Dammbacher. Dammbacher war ein angenehmer Gast, es gab nie Stress mit ihm. Eines Tages meinte Bernd. »Sag mal, du stehst doch eh immer hier rum und trinkst. Willste nicht nebenbei arbeiten?« Bernd dachte an Schmalzstullen für ´ne Mark, »ein paar halb verkohlte Zwiebeln drauf, bisschen Gurke, fertig! Und dann machen wir Halbe-Halbe.« Von da an ging Dammbacher jeden Abend mit den Stullen durchs Lokal, »und wir hatten jeder ´n Fuffi mehr in der Tasche.«

Der Dammbacher kam aus Ulm und war eigentlich Elektriker, aber er arbeitete als Sozialarbeiter auf einem Abenteuerspielplatz in 36. Die Kinder liebten ihn, trotz diesem Monstrum an Brille. »Der hatte eine Brille, da waren die Gläser so dick, dass man Angst bekam, wenn er plötzlich dastand und einen mit seinen riesigen Augen ankiekte. Aber die Kinder liebten ihn. Der war ja selbst immer noch Kind.«

Wenn abends im Leierkasten irgendwelche Bayern in der Nähe waren, fing Dammbacher an zu singen: Das schönste Blümel auf der Welt, das ist das Edelweiß – »mit einer Inbrunst, dass irgendwann das ganze Lokal mitgesungen hat. Alles ganz wunderbar. War ein feiner Kerl, war das. Irgendwann haben sie ihn am Strand gefunden, in Thailand. Die Todesumstände blieben ungeklärt.«

Der Dammbacher jedenfalls war immer freundlich, »egal, wieviel der getrunken hatte.« Manchmal kletterte er auf einen Stuhl, zog einen Grashalm aus der Tasche und begann auf ihm zu pfeifen. »Und das nervt, wenn du arbeitest und dann ständig dieses Gepiepse und Gefiepe… Aber man konnte dem einfach nicht böse sein.«

Nur der Wirt in der Nulpe war einmal böse geworden. Er hatte das Lokal gerade übernommen und Dammbacher wollte nachsehen, wie es so läuft. Er hatte, wie üblich, den ganzen Nachmittag getrunken, in Habakuks Gartenlaube, im Orpheus oder im Yorckschlösschen, das schon morgens um neun öffnete, und in dem manche Gäste dann bis zum nächsten Morgen um fünf hängenblieben. Die Nulpe machte erst am Abend auf, und deshalb dauerte es, bis sich das Lokal füllte. Abgesehen von den Montagen, an denen es Couscous gab und Bauchtänzerinnen auf den Tischen. »Da war es gerammelt voll!«

Aber an diesem Mittwochabend, an dem Dammbacher hereinspazierte, stand Nassim ganz allein im Lokal. Dammbacher grinste und sagte: »Da hast du aber eine gut überschaubare Kneipe!« – Der Wirt stutzte. Wollte dieser Dammbacher ihn etwa aufziehen. Die Miene des Wirts verfinsterte sich, dann schrie er: »Verpiss dich! Und lass Dich nie wieder blicken.« Das tat der Gast auch nicht. So ein Lokal war nichts für einen freundlichen Menschen wie den Dammbacher.


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