Kreuzberger Chronik
Juli 2023 - Ausgabe 251

Herr D.

Der Herr D. und die Bayern


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von Hans W. Korfmann

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Der Herr D. hörte lautes Protestgeschrei. Es kam aus der Fußballkneipe um die Ecke. Vor einem Vierteljahrhundert war diese Kneipe ein Initiationserlebnis gewesen für den Neukreuzberger aus Bonn. Sport, das erkannte er sofort, war kein Thema in Kreuzberg. Aber Fußball. Bildschirme an den Wänden oder Leinwände gab es noch nicht, aber der Wirt hatte drei Bierkästen übereinander gestapelt und einen Fernseher darauf gestellt. Und wenn Bayern gegen Manchester oder Barcelona spielte, saß halb Kreuzberg in der Kneipe und grölte und höhnte bei jedem Gegentor, das die Bayern erhielten. In dieser Kneipe hatte der Herr D. gelernt, dass ein echter Kreuzberger immer gegen Amerika und die Bayern ist.

Auch jetzt noch, zwanzig Jahre später, war die Enttäuschung groß, als die Bayern im letzten Spiel tatsächlich noch die Meisterschaft gewannen. Gegen die souveränen Dortmunder. Die Mannschaft aus dem Ruhrpott. Die reichen Bauern gegen die armen Bergleute! Jedem fiel ein, wie oft den Bayern in letzter Minute noch das Glück zu Hilfe kam: »Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen!«

»Ich bin mal mit denen im Flugzeug geflogen«, erzählte einer. »Ich steh in der Schlange nach München und denk die ganze Zeit schon: Verdammt, diese Typen hast du doch schon mal gesehen! Und dann fingen sie an, die Frau am Schalter anzumeckern. Echt ungut. Es ging ihnen nicht schnell genug. Sie waren das nicht gewöhnt, zu warten. Dabei tat die nur ihren Job. Irgendwann meinte dann einer: »Was kostet denn der Scheißladen hier eigentlich? Ist das wirklich die Lufthansa? Wir könnten die doch einfach kaufen!«

Eigentlich wollte der Erzähler seine Geschichte an dieser Stelle beenden, aber der Herr D. wollte wissen, wie es weiterging. »Na, die machten es sich vorne in der ersten Klasse bequem und ließen sich von der Stewardess bedienen. In der Reihe hinter ihnen saßen zwei Rumäninnen, zwei schicke, gutaussehende Mädchen. Da mussten sich die Jungs natürlich dauernd umdrehen, doch die Rumäninnen schenkten dem Klassenausflug da vorne keine besondere Bedeutung.

Bis der Lothar Matthäus dann aufgestanden ist und sich zu ihnen nach hinten gesetzt hat. Die Frauen blieben unbeeindruckt, sie hatten keine Ahnung, wer dieser Lothar war. Lothar versuchte ihnen zu erklären, dass die Bayern eine berühmte Fußballmannschaft seien, aber die Frauen sprachen kaum Deutsch und der Lothar sprach kein Rumänisch. Dumme Sache! Siegesgewiss rückte er ihnen trotzdem weiter auf die Pelle, bis eine von den Rumäninnen nach der Stewardess klingelte und darum bat, den jungen Mann bitte wieder auf seinen Platz in der zweiten Reihe zu begleiten. Was sie mit grandiosem Stewardessenlächeln tat. Und dann zwinkerte sie mir zu.«


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