Kreuzberger Chronik
Februar 2023 - Ausgabe 246

Herr D.

Der Herr D. verschickt ein Paket


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von Hans W. Korfmann

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oder: Von Spätis und Copyshops

Der Herr D. hätte nie gedacht, dass er die Post am Marheinekeplatz mit ihren Warteschlangen und Beamtennaturen einmal vermissen würde. Doch als es weihnachtete, war es so weit. Die Enkelkinder warteten auf ein Paket mit ganz besonderen Spielzeugautos. Der Herr D. besuchte die beiden Spielzeuggeschäfte in der Nähe, aber die Modelle der Umweltverpester, die einst so viele Regale füllten, waren aus pädagogischen Gründen erheblich dezimiert worden. Also bestellte er die Autos im Internet.

Doch der Herr D. war nicht der einzige, der zu Weihnachten Pakete versandte. Mitte Januar traf das Spielzeug ein. »Sie können ihr Paket in der Friesenstraße aufgeben!«, sagte die junge Nachbarin mit dem Kind. »Das ist näher als die Post!« Es war spät, als der Herr D. den Späti mit Paketannahme betrat. Der Mann hinter dem Tresen schüttelte den Kopf, als er das Paket sah. »Ich kenne mich da nicht aus. Da müssen Sie morgen früh kommen, wenn mein Chef da ist.«

Doch auch der Chef schüttelte den Kopf. »Österreich! Das dürfen wir nicht. Da müssen Sie in die Gneisenaustraße. Ich glaube, die machen um neun auf.« Kurz vor zehn stand der Herr D. vor dem Copyshop. Zehn Leute warteten vor verschlossener Tür. Es regnete, als wäre Weihnachten. Das Paket begann aufzuweichen. Das war der Moment, in dem sich der Herr D. das erste Mal nach der Post zurücksehnte.

Die trockenen Stehplätze unter dem Balkon des Mietshauses waren alle besetzt. Der Herr D. trat auf die geschlossene Formation der Warteschlange zu, um sein Paket auf dem Fensterbrett abzustellen, damit es sich nicht vollends auflöste. »Sie müssen sich hinten anstellen!« Es gab Tage, an denen dem Herrn D. der Gedanke kam, dass die gesamte Menschheit schon verblödet war.

Um fünf nach zehn fuhr ein Mietwagen der Firma Express vor. Ein Subunternehmer lud Kisten voller Paketsendungen aus, die er von einem der letzten Postämter der Millionenstadt abgeholt hatte. Als der Herr D. das Innere des Copyshops erreicht und sein aufgeweichtes Paket auf der Eistruhe abgestellt hatte, traf ihn der unmissverständliche Blick des Eisverkäufers. Auch als er es wagte, das Paket bereits auf die Waage zu legen, weil die junge Frau vor ihm schon bezahlt hatte, erntete er einen vorwurfsvollen Blick.

Einer der letzten Sklaven, ein Afrikaner, winkte ihn mit freundlichem Lächeln an seinen Schalter, klebte Briefmarken auf die Pappe und umwickelte die vom Regen aufgeweichten Ecken des Paketes unaufgefordert mit Klebeband. Gerade dachte der Herr D., dass ihm das auf der alten Post nicht passiert wäre, da hörte er im Hinausgehen, wie der Mann mit dem strengen Blick zu dem freundlichen Mitarbeiter sagte: »So etwas machst Du nicht mehr, verstanden!« Das war das zweite Mal, dass der Herr D. die alte Post vermisste. •


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