Kreuzberger Chronik
März 2022 - Ausgabe 237

Geschichten & Geschichte

Kanalgeschichten (2):
Die Eisbahn vom Engelbecken



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von Werner von Westhafen

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Vor 100 Jahren übergab die Preußische Regierung den Luisenstädtischen Kanal der Reichswasserstraßenverwaltung und damit dem Magistrat der Stadt Berlin. Hatte einst ein König an einem Nachmittag bei einer Tasse Kaffee in einer kleinen Runde von Beratern über derartige Bauprojekte entschieden, stritten nun verschiedenste Verwaltungen und Ämter über die Stilllegung des Kanals und seine Zukunft.

Natürlich nahmen die Zeitungen regen Anteil an den Diskussionen. Neben pragmatischen und ästhetischen Einwänden seitens der Verkehrsplaner oder der Finanzverwaltung tauchten im Volk durchaus romantische Visionen auf. In einem Heimatbuch für die Jugend aus dem Jahre 1927 träumte man von »prächtigen Badeanstalten am Engelbecken und am Urbanhafen«, die in den alten Kanalbecken entstehen könnten, umgeben von »entzückenden Blumenterrassen vor ansteigenden Wasserlokalen«. Man schwärmte von »fröhlich jubelndem Bootsverkehr« und »im Winter der schönsten Eisbahn weit und breit.«

Das Schlittschuhlaufen war Mode in Berlin, seit die Gebrüder Enderjat an der Urbanstraße die Südeisbahn eröffneten und 1910 im Sportpalast die größte Kunsteisfläche der Welt entstand. Auch auf der Spree, den Seen und Kanälen drehten die Frauen Pirouetten und liefen die Männer in Scharen mit dem Stecken hinter einem hölzernen Puck her. Natürlich war auch der zugefrorene Luisenstädtische Kanal mit seinen Promenaden und Uferlokalen ein beliebtes Ausflugsziel der Wintersportler, besonders das Engelbecken. Eine Eisbahn allerdings war in Umbauplänen nirgends vorgesehen. Nicht einmal Direktor Barth hatte in seinen volksnahen Visionen daran gedacht.

Er hatte zehn Themengärten geplant, die sich von der Spree bis zum Urbanhafen aneinanderreihen sollten: einen Blumengarten, einen Staudengarten, einen Rosengarten, einen Alpengarten, einen Waldgarten und mehrere Kindergärten. Im Mittelpunkt seiner Sehnsüchte aber stand ein von Palmen und exotischen Gärten umgebenes »Taj Mahal«. Hatte Theodor Fontane die Michaelkirche für »die schönste Kirche Berlins überhaupt« gehalten, so erkannte Erwin Barth im Wasserspiegel des Engelbeckens eindeutig eine enge Verwandte des indischen Grabmals. Der preußische Winter lag dem Parkdirektor fern. Es musste erst ein Zufall, ein Missgeschick zu Hilfe kommen, um die Vision von der schönsten Eisbahn weit und breit Wirklichkeit werden zu lassen.

Mit seinem dritten und letzten Entwurf hatte Barth gerade noch verhindern können, dass man auch das Engelbecken zuschüttete. Die Ideen von der Badeanstalt im Hafenbecken und dem Warmwasserteich hatte er aufgeben müssen, aber sein Entwurf von einem Zierbecken und 16 hoch aufsteigenden Wasserfontänen vor der Michaelkirche, umlaufenden Rosenpergolen und einem Wasserschloss gegenüber der
Kirche wurde genehmigt. Als am 1. Oktober des Jahres 1927 die Maschinen der Nord-Süd-Untergrundbahn anrollten und mit dem Aushub für die zukünftige U-8 den Kanal zuschütteten, mussten sie das Becken vor der Kirche aussparen.

Die Nordsüdbahn AG, die von Beginn an gegen den Erhalt der Kanals gewesen war, da eine Untertunnelung der Wasserstraße den Bau der U-Bahn erheblich verteuert hätte, war den Luisenstädtern, die ihren Kanal liebten, verdächtig. Auch Baurat Ostmann hatte bestätigt, dass der Magistrat nur unter dem Druck der U-Bahn-Gesellschaft, die »Wert darauf legte, die Wasserstraße zu beseitigen«, der Zuschüttung zugestimmt hatte – womit »wieder einmal ein städtebauliches Kleinod der Kurzsichtigkeit der Berliner Stadtväter zum Opfer« gefallen sei.

Dementsprechend verfolgten die Anwohner mit Argusaugen die Bauarbeiten, beschwerten sich über die »Sahara des Ostens« und »Sandstürme«, die durch die Fensterritzen kamen. Sie wiesen auch darauf hin, dass die Bahn »Schutt und ungewöhnlich große Klamotten« in das Kanalbett kippte, ohne das Material zu zerkleinern. Die Bahn dementierte und schob die dicken Brocken der Stadtentwässerung in die Schuhe, die ihren Aushub ebenfalls »im Luisenstädtischen« entsorgte. Davon ab seien die Sorgen unberechtigt, der Regen würde die Füllung mit der Zeit schon verdichten.

Nicht von der Hand weisen allerdings konnte die Bahn AG die Fehler, die sie beim Engelbecken machte. Aus Kostengründen hatte sie das Fundament für das Becken nicht aus Ton, sondern aus minderwertigem Lehm hergestellt. Schon wenige Stunden nach der ersten Füllung des »Paradestücks« vor der Michaelkirche Ende 1929 war das Wasser wieder versickert, und wo »die Wasserkünste zur Belebung der Promenaden« in den Himmel steigen sollten, zeigte sich, wie der Berliner Lokalanzeiger schrieb, »ein Schlammloch«.

Da hatte der Gartenbauarchitekt Hans Martin, Nachfolger Erwin Barths, eine rettende und wundervolle Idee. Er schlug, um die »Fläche des Engelbeckens einigermaßen nützlich herzurichten«, eine Eisbahn vor. Die sechzehn langen Stahlrohre, aus denen die Fontänen steigen sollten, wurden wieder abmontiert, die im Sand liegende Wasserleitung so gedreht, dass das Wasser nicht senkrecht in den Himmel spritzte, sondern über die Fläche verteilt wurde und »eine 4300 qm große Eisbahn bildete, umstellt von eingesteckten, übriggebliebenen Weihnachtsbäumen.«

So kamen die Berliner im Januar des Jahres 1930 zu ihrer größten und schönsten Eisbahn weit und breit, direkt vor der Michaelkirche, in der sich die Pfarrer nun nicht mehr über halbnackte Badende, sondern über die wehenden Röcke der Eistänzerinnen auf dem Eis des Engelbeckens aufregen konnten. •


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