Kreuzberger Chronik
Dez. 2022/ 2023 - Ausgabe 245

Reportagen, Gespräche, Interviews

Unruhen in der Markthalle


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von Michael Unfried

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Die Markthalle am Marheinekeplatz, 2006, ein Jahr vor der Renovierung: Hier traf man die Nachbarn beim italienischen oder beim griechischen Feinkostladen, trank für kleines Geld guten spanischen Wein mit Freunden in der kleinen Sitzecke bei Klaus Brünger, dem Mann, der sich nicht nur in eine Spanierin, sondern gleich in ganz Spanien verliebt hatte und Serranoschinken, Crianzas und Reservas kredenzte. Man holte Fisch vom Fischstand, Glühbirnen, Gummiringe oder Spülbürsten im Haushaltswarenuniversum von Angela Spreu und Brot bei Mehlwurm. Sie hatte ihren Charme, die alte Halle mit dem grauen Estrich und den alten Leuchtreklamen. Sie war ein Treffpunkt für die Nachbarschaft. Heute ist sie ein touristisches Ausflugsziel, im Sommer sitzen Menschen aus aller Welt vor der Halle. Die Nachbarn dagegen sind weniger geworden. Das ist nichts Besonderes, seit Flugzeuge spielend Grenzen überwinden. Das ist in Venedig, Bilbao oder Paris so wie in Kreuzberg.

Auch das Lokal auf der Ostseite der Markthalle hat Namen und Gesicht geändert. Im Gasthaus Dietrich Herz saß Egon Elend, der Friedhofsgärtner, zum Feierabendbier. Jeder wusste, dass das Schnitzel mit Pommes und Salat zehn Euro kostete. Es gab zwei Blumenkästen und schlechtgelaunte, echte Berliner Kellnerinnen. Aber man kam trotzdem wieder. Es war eben das Restaurant am Platz, es lag morgens in der Sonne und war bezahlbar. Jetzt heißt jetzt Matzbach.

Seit einigen Monaten zieht eine allabendliche Lightshow die Aufmerksamkeit auf sich, in schillernden Farben wirbt das Matzbach um Kundschaft. Die schmiedeeisernen Balkone sind mit Plastikbannern verhängt, auf denen von der Eventlocation und dem Hotelrestaurant Matzbach die Rede ist. Die Blumenkästen haben sich rasant vermehrt, an der Bar wird ein Mai Tai gemischt. In lauen Abendnächten hört man das Lachen junger Männer und Frauen. Kreuzberger kommen nur noch selten. Kreuzberg ist teurer geworden.

Auch das dem Restaurant angegliederte Hotel vermietet seine Fremdenzimmer nicht mehr für 30 sondern für 100 Euro. Die Zimmervermietung könnte helfen, die winterliche Flaute in der Restaurant-Bar zu kompensieren, doch die Bettenanzahl ist bescheiden. Deshalb, so hatten es einige aufgeregte Händler aus der Halle schon des öfteren tuscheln gehört, hätten die Hotelbesitzer Verhandlungen mit dem Markthallenmanagement aufgenommen, um auf der Galerie über den Wurst- und Käseständen Zimmer einzurichten. Daraufhin haben die Händler im November einen offenen Brief an die Berliner Großmarkt GmbH verfasst und klargestellt, dass sie erstaunt, »ja entsetzt« seien darüber, dass die BGM über ihre Köpfe hinweg an derartigen Plänen schmiede. »Wir befürchten einen nachhaltigen wirtschaftlichen Schaden für unsere ohnehin nicht einfachen Geschäfte.«

Die Befürchtung der Markthändler, dass an den Gerüchten eine Portion Wahrheit haften könne, kam nicht von ungefähr. Schon immer spielte die BGM, ein senatseigenes Unternehmen, mit verdeckten Karten. Bei den alteingesessenen Händlern wurden Erinnerungen wach an die Verhandlungen nach der Renovierung. Als die Hallenhändler 2008 von ihrem Wagendorf am Marheinekeplatz, in das sie während der Bauphase ausquartiert worden waren, wieder in die Halle einziehen wollten, begann das Gefeilsche um die neuen Mieten. Zu vertraulichen Gesprächen wurden sie einzeln ins Büro gerufen und mit dem Wunsch wieder entlassen, Stillschweigen über die getroffenen Vereinbarungen zu bewahren, wie Klaus Brünger, der damalige Hallensprecher, beim Glas Rotwein entrüstet berichtete. Der Senat versuchte, die Händler gegeneinander auszuspielen, verschwieg der Bäckerei Mehlwurm, dass nebenan noch ein zweiter Biobäcker einziehen würde und dass auch der Gemüsestand der Urberlinerin Lorenzen zehn Meter weiter Konkurrenz bekommen sollte. Auch die Befürchtung, dass die Mieten unverhältnismäßig steigen würden, bestätigte sich, etwa ein Drittel der alteingesessenen Stände fehlte bei der Wiedereröffnung.

Und nun also soll ein Hotel einziehen. Die Aufregung ist groß. »Wenn hier umgebaut wird, wäre das für uns der Tod. So eine Baustelle bekommt man doch nicht staubfrei, und wir verkaufen hier Lebensmittel!«, meint einer der Brotverkäufer. »Ohne uns zu informieren in solche Verhandlungen zu gehen, das kann man doch nicht machen. Außerdem passt so ein Hotel hier gar nicht rein.«, ärgert sich der Tabakhändler. Lediglich einer der Verkäufer am griechischen Fleischspieß hebt mit mediterranem Laissez-faire die Schultern. Die Veganer, die im veganen Supermarkt auf der Empore einkaufen gehen, würden sich ohnehin nicht für Souflaki und Pita interessieren. »Die rümpfen doch eher die Nase!«

Doch der vegane Markt wird gehen. Der Vertrag läuft Ende des Jahres aus. Dann stehen die vielen Quadratmeter, auf der die Browse Gallery mit ihren Ausstellungen zur Kreuzberger Boheme Menschen aus ganz Berlin in die Halle lotste und bei Ausstellungseröffnungen auch den Umsatz der Hallenhändler ankurbelte, wieder leer. Dabei hatte Veganz hoch gepokert, Filialen in Berlin und ganz Deutschland eröffnet und von der Eroberung der USA mit pflanzlichen Fleischimitationen geträumt. Der Senat ließ sich vom Konzept der Größenwahnsinnigen blenden und kündigte der Kultur. Die ist seitdem obdachlos, noch immer hat die Browse Gallery kein neues Quartier gefunden. Ein nie verjährender Lapsus der Politik.

Ulrike Piechas glaubt, dass die BGM nun wieder einen Fehler macht. Sie war einst die Hallensprecherin, als die Händler noch in einem Mieterrat organisiert waren. Jetzt ist sie wieder gefragt.

»Wenn irgendetwas ist, kommen alle zu mir.« Sie warnte in ihrem offenen Brief: »Zwar leben auch wir von den Touristen und schätzen deren Interesse an unseren Produkten. Wir sind aber für sie gerade deshalb so attraktiv, weil wir eben keine schwerpunktmäßige Event-Kaufhalle sind.« Ihr Brief hatte Erfolg: Am Dienstag, den 15. November, trafen sich Vertreter der BGM mit den Markthändlern. Im Restaurant Matzbach. Auch der Geschäftsführer des Hotels war anwesend. Auf die Idee, den besorgten Kleinhändlern einen Kaffee oder ein Fläschchen Wasser auf den Tisch zu stellen - zur Pflege der nachbarschaftlichen Beziehung - kamen weder die BGM noch das Restaurant.

Auch sonst zeigte man eher wenig Verständnis für die Mieter und schien gekränkt. »Es wäre schöner gewesen, wenn man offen mit uns gesprochen hätte« anstatt gleich einen offenen Brief in die Welt zu setzen und Unruhe zu stiften. Womöglich hätte man lieber in aller Ruhe verhandelt und am Ende den Mietern das Ergebnis mitgeteilt.

Die Verhandlungen zwischen Hotel und Senatsvertretung indes stünden erst ganz am Anfang, es gebe keinen Grund zur Aufregung. Schließlich sei es auch ein ganz normales Procedere im Immobiliengeschäft, wenn sich ein Interessent für eine leerstehende Fläche bewerbe und der Anbieter daraufhin die Anfrage prüfe. Und übrigens hätten es nicht nur die Händler in der Halle schwer, auch die BGM leide unter der Inflation. Insbesondere mit der Vermarktung der Empore habe sie schon so viele Probleme gehabt. Man wäre froh über einen erfolgreichen Nachmieter.

Auch was die konkreten Bedenken wegen eines zukünftigen Hotels in der Halle und die Nörgeleien über den Restaurantbetrieb anging beschwichtigte das senatseigene Vermietungsmanagement seine Händler: Seit der Neueröffnung gehe es am Marheinekeplatz doch wesentlich geordneter und sauberer zu als zuvor. Und sollte man sich tatsächlich einig werden mit den Gastronomen, so hätten die Händler in der Halle nach wie vor absolute Priorität. Ihre Geschäfte, dafür wolle man garantieren, würden durch die Umbauten nicht gestört. Die Markthalle hätte Vorrang. Und der Hotelbesitzer ergänzte, dass man hier »keine Zelte aufschlagen wolle«, sondern ein anspruchsvolles Hotel plane, das durchaus lukrative Kundschaft für die Halle anzöge.

Dennoch gab es Bedenken wegen der Abwasserleitungen, die durch die Halle laufen müssten, oder wegen des Lärmes, der bei den umfangreichen Baumaßnahmen nicht ausbleiben könne. Doch im Grunde verlief das Treffen friedlich und gesittet. Die BGM erbat sich zum Abschluss vom Investor eine Machbarkeitsstudie bezüglich der Umbauten und bot den Mietern der Halle an, Alternativen für die Nutzung der Empore vorzuschlagen, - auch wenn sie ja eigentlich gar kein Mitspracherecht hätten.

Man braucht kein Prophet zu sein, grinste einer der Beobachter am Rande des Treffens, um in die Zukunft zu blicken: Der Investor wird durch das Gutachten eines Architekten die Machbarkeit belegen und einen niet- und nagelfesten Finanzplan vorlegen - ebenso wie einst der Mann mit den veganen Lebensmitteln. Und die Ideen der Händler für die künftige Nutzung der oberen Etage müssen bedauerlicher Weise aus diesem oder jenem Grund abgelehnt werden.

Auch wenn darunter ganz vernünftige Vorschläge sind. Die ehemalige Hallensprecherin denkt an eine gläserne Manufaktur, das griechische Feinkostgeschäft könnte sich zusätzliche Lager- und Büroräume vorstellen. »Die meisten hier würden sich über mehr Lagerraum freuen.« Die vielleicht beste Idee hatte der Tabakverkäufer in der Halle. »Die Post könnte doch hier oben einziehen!« Schließlich flucht der gesamte Kiez darüber, dass es kein einziges Postamt mehr in der Nähe gibt. •




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