Kreuzberger Chronik
Dez. 2022/ 2023 - Ausgabe 245

Hausverbot

Der Barschreck


linie

von Gunter Sowotny

1pixgif
Lars stand viele Jahre an der Bar, immer hinter dem Tresen. Dass er einmal vor den Tresen kommen musste, um für Ordnung zu sorgen, ist selten gewesen. Jetzt steht er hinter der Ladentheke von Galanders Spirituosenladen. Es ist ruhig hier, aber auch an der Bar hat sich Lars nie aus der Ruhe bringen lassen. Wer Judo beherrscht, »besitzt ein gewisses Selbstvertrauen.« So nah sich die Gegner auch vor ihm aufbauten: Lars sah ihnen fest in die Augen, bis sie sich irgendwann umdrehten und aufgaben.

Lars ist eher der Gentleman, und wenn es tatsächlich einmal vorkommt, dass bei den abendlichen Verkostungen im Hinterzimmer des Schnapsladens jemand wegen übermäßigen Alkoholgenusses die Contenance verliert, »weil er vom Trinken einfach keine Ahnung hat«, dann ruft der Keeper dezent ein Taxi und geleitet den untergehakten Gast bis zur Autotür. »Schließlich haben wir schon von Gesetz wegen eine gewisse Sorgfaltspflicht.«

Aber selbst ein so sanftes Hausverbot mit feierlichem Geleit zum Taxi wurde, seit es keine Gutscheine für die Verkostungen mehr gibt und nur noch geübte Trinker im Hinterzimmer auftauchen, nicht mehr ausgesprochen.

Lars jedenfalls kann mit Recht behaupten, dass ihn bisher noch nichts wirklich aus der Ruhe gebracht hat. Abgesehen von diesem merkwürdigen Gast in der Weißen Maus vielleicht, dieser kleinen Bar in Wilmersdorf. »Der Mann war weder betrunken noch war er sonst irgendwie auffällig. Er stellte sich vorne an die Bar und bestellte einen Whisky Sour. »Ich schenke ein, er nippt am Glas, schaut sich ein bisschen um, und dann legt er plötzlich die Knarre auf den Tresen. Einfach so. Ohne Worte. - Die Nacht ist eben doch eine andere Welt.

Ich habe Kollegen, die für solche Fälle einen Baseballschläger greifbar haben. Ich nicht. Ich denke, wenn ich das Ding da habe, dann benutze ich es auch.« Und Lars will doch eigentlich nur seine Ruhe. Andere Kollegen rufen in so einer Situation sofort die Polizei, aber auch auf die Idee ist Lars an diesem Abend gar nicht erst gekommen. »Der Typ sah so normal aus, ich weiß nicht, was mit dem los war. Hatte der Liebeskummer, wollte er ein Ding drehen und hatte es sich dann doch noch anders überlegt? An so was dachte ich, aber nicht an die 110. Auch nicht daran, den rauszuwerfen.«

Das war auch gar nicht notwendig. Irgendwann fragte der Typ den Barkeeper, ob er das Ding da für ihn entsorgen könne. Lars warf das Ding dann einfach in den Mülleimer, als handele es sich um Kaugummipapier. Der verschwiegene Gast hat noch ausgetrunken und bezahlt, und dann ist er gegangen. Als Lars das Ding am nächsten Abend einem Stammkunden zeigte, der sich in diesen Dingen auskannte, lachte der: »Das ist nur ´ne Schreckschusspistole!« •


zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg