Kreuzberger Chronik
April 2022 - Ausgabe 238

Geschichten & Geschichte

Kanalgeschichten (3):
Von Karpfen und anderen Tieren



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von Ina Winkler

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Schon im 19. Jahrhundert, als die Kreuzberger noch Luisenstädter waren, besaßen die Bewohner im Süden Berlins eine ausgeprägte Liebe zum Tier. Die zeigte sich in Parks und Grünanlagen, so auch am Engelbecken.

Foto: Kreuzberg Museum
Nicht nur im Winter, wenn es zugefroren war und sich in eine große Eisbahn verwandelte, zog das Hafenbecken des ehemaligen Luisenstädtischen Kanals die Menschen an. Auch im Sommer wurde der künstliche See zur Attraktion. Die Bänke, die man unter den Rosenpergolen rings um das Wasserbecken mit seinen Fontänen aufgestellt hatte und auf denen es auch an heißen Sommertagen schattig und kühl war, erfreuten sich zu Beginn der Dreißigerjahre großer Beliebtheit. Besonders mittwochs und samstags, wenn die »Wasserkunst« in Betrieb war, konnte es zu einem Kampf um die Sitzplätze kommen.

Natürlich brachten die zukünftigen Kreuzberger ihre vierbeinigen Freunde mit ans Engelbecken und ließen ihnen dort jenen freien Lauf, den sie auf den Brachen schon während der Umbauphase des Kanals zur Grünanlage hatten. Die jahrelange Baustelle war zu einem beliebten Hundeauslaufplatz geworden, und die letzten Pfützen des Engelbeckens zum Hundepool. Das führte zu Protesten:

»Wir haben mehrmals 8-10 Hunde beobachtet, die sowohl die künftigen Grünflächen als auch die Uferböschungen durchwühlen«, heißt es in einem Beschwerdebrief vom April des Jahres 1932 an die örtliche Polizeidienststelle. Tatsächlich wurde wenig später das Ausführen von Hunden in den Parkanlagen verboten, was wiederum Frau Kirchner entzürnte, die in einem Brief berichtete, sie habe mit ihrem Dackel auf dem Schoß auf einer Bank gesessen, als der Parkwächter sie zum Verlassen der Anlage aufgefordert habe.

Andere Tiere allerdings waren im Engelbecken durchaus willkommen. So importierte man im November 1931 sogar zwei Schwäne aus dem Volkspark Mariendorf. Gartendirektor Hans Martin, der bereits die schöne Idee mit der Eisbahn verwirklicht hatte, entwarf ein Schwanenhäuschen mit einem regenresistenten Kupferdach, das jedoch wegen der Mehrkosten von 120 Reichsmark nicht genehmigt wurde. Dennoch erfreute sich die kleine Schwanenvilla am See bei dem Schwanenpaar ebenso wie bei den Luisenstädtern großer Beliebthei. Eine Zeitung veröffentlichte ein großes Foto des weißen Paares vor seinem neuen Domizil und schrieb: »Im Engelbecken brütet eine Schwänin, eifersüchtig von ihrem Gemahl bewacht. Die Spaziergänger kommen in Scharen, das ländliche Idyll zu bewundern.«

Am 5. Dezember musste die Feuerwehr anrücken, weil ein tierliebender Anwohner sich um die Schwäne sorgte, die im Eis festgefroren zu sein schienen. Die Parkverwaltung bat darauf hin die Feuerwehr, sich künftig mit ihnen abzusprechen, da »solche Vorkommnisse dem Ansehen der Parkverwaltung nicht förderlich« seien. Für die aufmüpfigen Luisenstädter war die Zeitungsmeldung vom eingefrorenen Schwanenpaar, »das mit zwei Kähnen aus dem Eis befreit« werden konnte, Grund für weitere Beschwerdebriefe.

Weniger groß war die Tierliebe der Luisenstädter, als sich einige Enten auf den Wassern des Engelbeckens niederließen. Womöglich waren sie den Zaungästen zu alltäglich, zudem waren sie schmackhaft. Niemand protestierte, als ein Wärter namens Georg Wurm vom Jägermeister die offizielle Erlaubnis erhielt, die sich rasant vermehrenden »Wildenten (nach Möglichkeit jedoch nur Erpel) mit einem 6 mm Tesching mit kurzen Kugeln« und nur frühmorgens bis 7 Uhr zu jagen. »Die abgeschossenen Enten« allerdings durften, »soweit sie nicht der Deckung der Unkosten« dienten, nicht verspeist oder verkauft werden, sondern waren bei der Behörde abzuliefern.

Ein gutes Geschäft allerdings versprach man sich von der Karpfenzucht im Engelbecken. Dazu wurden im Frühjahr 1933 zunächst 300 der dicken Fische zu Wasser gelassen, 1936 sogar 1000 Exemplare. Der weihnachtliche Fischzug am Engelbecken wurde zu einem Volksfest, bei dem die Luisenstädter nicht nur ihren Weihnachtskarpfen kauften, sondern Glühwein und Bier tranken. Auch wenn die Bedingungen im Zuchtbecken nicht die besten waren und in schlechten Jahren gerade einmal 100 Kilo Karpfen zusammenkamen – was den Verdacht erhärtete, dass auch in der Luisenstadt nächtliche Wilderer unterwegs waren – gab man die Fischzucht nicht auf. Kinder und Omas übernahmen die Fütterung und gründeten Freundschaften, und Max und Moritz, die beiden Prachtexemplare, die schon bei der Füllung des Engelbeckens von fröhlichen Fischhändlern aus der Markthalle VII ausgesetzt wurden, gehörten zur Kreuzberger Prominenz. Die beiden Fische hätten sich für »die Fütterung durch die Volksgenossen« bedankt und das »in ihrer Gewichtszunahme zum Ausdruck gebracht. (…) Sie dürften jetzt 20, bzw. 22 Pfund wiegen.«

Ob die beiden Welse, die man 1937 aus dem Wasser fischte, womöglich von einem Gegner der Karpfenzucht dort ausgesetzt wurden, darüber rätselten nicht nur die Luisenstädter, sondern auch die Zeitungen: »Woher kommen die Welse im Engelbecken?«

Dann begann der Krieg, Feste wurden keine mehr gefeiert, die Karpfen waren verspeist. Als man in den Fünfzigerjahren das Becken trockenlegte, kamen Unrat und Sperrmüll zum Vorschein, das Becken wurde ein Sandplatz. Zehn Jahre nach dem Mauerfall war das Wasser zurück, ein Restaurant mit Seeterrasse eröffnete, und heute schwimmen wieder Fische und Schildkröten im Wasser vor der Michaelkirche. •

Literatur: Klaus Duntze, Der Luisenstädtische Kanal, Berlin Story Verlag, 2011


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