Kreuzberger Chronik
April 2022 - Ausgabe 238

Geschäfte

Die Fischbar


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von Horst Unsold

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Ia#Wer träumt schon davon, ein Leben lang Fisch zu verkaufen? Auch Herr Dogan studierte eigentlich Machinenbau. Aber ...
Er kann das sehr gut. Massimo arbeitet hier seit 22 Jahren. Er schärft das Messer wie ein japanischer Messerschleifer und unterhält sich dabei mit dem Kunden hinter seinem Rücken in rasantem Italienisch über Berlusconi oder über das Kochen oder Fußball. Dann legt er den Wolfsbarsch auf die Seite, öffnet ihn vom Schwanz bis zum Kopf mit einem so eleganten Schnitt, dass selbst der Gerichtsmediziner Boerne anerkennend die Lippen schürzen und nicken würde. Dann klappt er den Fisch ein Stück auf und entfernt die Mittelgräte aus dem rosigen Fleisch, hält sie gegen die Glühlampe, damit der Käufer des prachtvollen Fisches sehen kann, wie hauchdünn die Scheibe mit der Gräte ist, die sein Landsmann entfernt hat. Der nickt zufrieden. Er hatte nichts anderes erwartet.

Die Szene könnte in der Fischhalle von Genua spielen, aber sie spielt in Kreuzberg, in der Markthalle am Marheinekeplatz. Es kommen viele Italiener in die Halle, um Fisch zu kaufen. »Beim ersten Mal sind sie immer sehr skeptisch.« Nichts wird in Italien so misstrauisch beäugt wie frischer Fisch. Kein Fleisch, kein Obst, kein Brot wird so genau taxiert. »Die Italiener verstehen was von Fischen. Und wenn sie einmal hier gekauft haben, dann kaufen sie immer wieder hier!«, sagt Herr Dogan.

Herr Dogan ist schon lange im Geschäft. Er kennt sich zu gut aus, als dass sich einer der Großhändler trauen würde, ihm einen alten Fisch anzudrehen. Dabei kommen die Dogans eigentlich aus den Bergen und Herr Dogan studierte eigentlich Maschinenbau, als er, gemeinsam mit der Schwester, in der Moabiter Markthalle bei Willhausens Fischstand aushalf, um sein Taschengeld aufzubessern. Er hat »nie daran gedacht, mal einen Fischstand aufzumachen.« Aber als der alte Willhausen 1985 in Pension ging, übernahm die Schwester den Stand in der Arminiushalle. Und acht Jahre später hörte dann auch der alte Naseband in der Marheinekehalle auf. »Der hatte gleich nach dem Krieg hier angefangen, zuerst im Keller der zerstörten Halle. Mit Fischen kannte ich mich ja inzwischen gut aus, und da habe ich mir überlegt, ich nehme mal lieber den Spatzen in der Hand als die Taube auf dem Dach.« Die Taube war der Maschinenbauingenieur. Heute ist Dogan der dienstälteste Standbesitzer in der Markthalle, der noch selbst hinter der Theke steht.

Den Maschinenbau gab er irgendwann auf. »Es war einfach zu viel Arbeit, um nebenbei noch zu studieren. Die Halle machte ja ein bisschen früher auf als heute, da standen die Leute um halb sieben schon an und wollten Fischbrötchen. Wir waren zu fünft und kamen kaum nach. Da war hier richtig was los, Pausen gab es nicht.« Obwohl es Dogans Fischbar damals noch gar nicht gab. »In Berlin waren nur zwei Imbisse pro Halle erlaubt.« Heute ist es eher umgekehrt, die halbe Halle ist ein Imbiss.

Dogan´s Fischbar gibt es erst seit dem Umbau. Das Internet spricht sogar von einem Fischrestaurant. Zwar fehlt es dazu eigentlich an Tischen und Netzen mit Muscheln an den Wänden, aber das Thunfischsteak ist Spitzenklasse. Es gibt Leute, die kommen nur deshalb nach Kreuzberg. »Bitte nicht zu kurz anbraten!« Dogan lächelt: »Keine Sorge, ich mache das, als wäre es für mich!«

Thunfisch kannten die Deutschen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts eigentlich nur in Dosen. Die Exoten kamen erst mit den Urlaubern und mit den Einwanderern. »Ich war wahrscheinlich der erste in Berlin, der Doraden verkaufte. Die gabs im Restaurant, aber nicht am Fischstand. Selbst auf dem Großmarkt an der Beusselstraße waren die schwer zu bekommen, nur an zwei Tagen die Woche. Jetzt gibt es die täglich, und zwar kistenweise.«

Als Dogan den Stand von Naseband übernahm, gab es hier eigentlich nur Kabeljau, Rotbarsch, Makrelen… - was Nord- und Ostsee eben so hergaben. Und Heringe natürlich, »3 Kilo für zehn Mark. Heute kostet 1 Kilo zehn Euro.« Lachs war schon etwas Besonderes. Und dann gab es noch die Fische aus Seen und Flüssen: Karpfen, Forellen und Zander.

Wolfsbarsch, Seeteufel, Barben, das alles waren in den Achtzigern noch Unbekannte. Kraken waren Ungeheuer, Austern kannte man aus Film und Literatur, Tintenfische aus dem Urlaub. Nicht einmal Miesmuscheln und Garnelen hatte Naseband auf Eis gelegt, geschweige denn Salicornes. Wenn man ihm damals gesagt hätte, dass er in ein paar Jahren 100 Gramm Algen für 7 Mark verkaufen würde, hätte er sich an die Stirn getippt.

Es sind vor allem Italiener und Franzosen, die Mittelmeerfisch kaufen. Oder junge Leute. »Die kommen mit dem Rezept auf dem Handy und verlangen dann sowas wie Fisch mit Schuppen.« Die deutschen Rentner dagegen kaufen immer noch Heilbutt, Kabeljau, Seelachs. Und Räucherfisch. Die meisten kaufen immer das gleiche, der eine will jedes Mal Räucheraal, der andere Seelachs ohne Gräten.

Auch an der Bar essen sie seit Jahren das gleiche Matjesbrötchen aus Holland. Der Matjes ist ein echter Direktimport. Es ist, als hätte sich bei Dogan nichts verändert seit dem letzten Jahrhundert: Da hängen immer noch die Werbefähnchen aus den Achtzigern mit »Lecker Bratfisch« und »lecker Fischbrötchen« und da baumelt - ein gewagter Anachronismus in den Zeiten postfeministischen Genderns - auf einem Plakat ein verführerischer Matjes vor den frechen roten Lippen einer jungen Holländerin mit blonden Zöpfen.


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