Kreuzberger Chronik
Mai 2021 - Ausgabe 229

Geschäfte

Ein bisschen Asien am Kanal


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von Anna Prinzinger

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Gegenüber dem Halleschen Tor befindet sich ein unscheinbarer kleiner Asia-Markt. Direkt an der großen Straße, wo auf der anderen Seite erstmal nur die Bahn entlangfährt und das Wasser des Kanals fließt.

Es ist ziemlich einfach, an dem Laden vorbeizugehen ohne ihn zu bemerken. Um zur Tür zu gelangen, muss die Kundschaft erst einmal eine Schräge hinunter laufen. Rechts und links neben der Glastür kann sie durch zwei Schaufenster ins Innere des Ladens blicken. Zuerst sieht die allerdings keine Lebensmittel, sondern nur Teller und Schüsseln, Tassen und Töpfe, Essgeschirr und Kochgeschirr. Nur das rote Schild mit der gelben Schrift, das aus der sonst eher kahlen Hauswand des Blockes ragt, verrät, dass es sich hier um einen Asia-Shop, und damit eigentlich um einen Lebensmittelladen handelt.

Drinnen ist es so dunkel, dass sich jeder, der im Internet gelesen hat, dass der Laden jetzt »geöffnet« habe, nun überlegt, ob er nicht vielleicht doch geschlossen ist. Um das Geschäft betreten zu können, muss die Kundschaft dann noch ein bisschen mit der Tür kämpfen. Dann aber hat sie es geschafft, dann ist sie wirklich drinnen in Kreuzbergs Asialaden.

In den Regalen haben sich unter die Kokosmilchdosen, die Chili-Saucen-Fläschchen und die Ingwer-Streifen in Gläsern einige Red Bull -Dosen verirrt, der Raum mit seinen überfüllten Regalen und den Kartons und Kisten auf dem Boden erinnert eher an ein unaufgeräumtes Lager als an einen gut sortierten Verkaufsraum. Gegenüber der Eingangstür allerdings führt eine Treppe in den eigentlichen Lagerraum, der notdürftig durch eine Plastikplane vom Verkaufsraum abgetrennt wird. Hier stapeln sich noch ein paar mehr Pappkartons.

Die Tiefkühltruhen lassen sich wie die Eingangstür nur schwer öffnen, darin finden die Kunden aber jede Menge indisches Fladenbrot und Mini-Frühlingsrollen im Sechziger-Pack! Es gibt die verschiedensten Curry Pasten und die klassischen asiatischen Koch-Geräte, wie etwa den beliebten Bambusdämpfer. Indien war schon immer ein großes, buntes Durcheinander!

Da wird die störrische Tür von zwei jungen Erwachsenen aufgestemmt, die sich trotz der Unauffälligkeit des Ladens hierher verirrt haben: Ein Junge mit Sporttasche und ein Mädchen in Schlagjeans betreten den Raum. Die beiden scheinen nicht unbedingt auf der Suche nach etwas Bestimmtem zu sein, sie schlendern an den Regalen vorbei und witzeln ein bisschen über die 5 kg-Säcke mit dem Reis, die man hier kaufen kann. »Würde sich ja schon lohnen bei deinem Reiskonsum!«, sagt das Mädchen lachend. »Hast du nicht heute sogar Reis gefrühstückt?«

Bild: Anna Prinzinger,, 2020
Fast wie am Halleschen Tor: Lebensmittelladen in Bengaluru / Indien


Sie ziehen weiter und nehmen dabei ein paar Gewürze, Ingwerstreifen und Nudeln mit. »Was genau brauchst du jetzt eigentlich?« fragt der Sporttaschentyp. »Weiß auch nicht genau, aber seit ich aus Indien zurück bin, glaubt mein Vater, ich könnte das auch alles perfekt kochen. Aber ich war nur sechs Monate da und wurde eigentlich jeden Tag bei der Arbeit gut gefüttert. Wenn wir mal selber gekocht haben, waren das Nudeln. Mit Tomatensoße!« Das Mädchen greift nach einer Dose Kokosmilch.

Der Laden erinnert sie vom Stil an die kleinen Läden in Indien. Schon deshalb, weil er so unaufgeräumt und unorganisiert wirkt. Er wirkt noch unvollständig, halbfertig und leicht durcheinander, aber gerade das gefällt ihr. Dass im Tee-Regal ungefähr zwei Sorten Tee zur Auswahl stehen, passt dann aber nicht so richtig ins Bild der indischen Märkte. Und die Verpackung ist eine, die sie auch bei Edeka finden würde. Dafür gibt es in undefinierbarer Flüssigkeit eingelegten Chinakohl, nach denen das Pärchen im Supermarkt vergeblich suchen würde. Kaufen tut es dann aber trotzdem nichts.

Die beiden schlendern lieber weiter, an Reispapier und lila Nudeln vorbei, die sie kichernd mit »fancy, fancy...« kommentiert, während der Sporttaschentyp ihr ausführlich die Benutzung der Bambusdämpfer erklärt, so, wie er sie in Restaurants gesehen hat. Die beiden nehmen auch den Kampf mit den Tiefkühltruhen auf sich, um an das indische Fladenbrot zu gelangen, das das Mädchen an die Straßenstände in Mumbai erinnert, wo es das zum Frühstück gab. »Dazu braucht man aber eigentlich noch etwas Leckeres zum Eintunken. Und das bekomme ich hier eh nicht.«

Jetzt betritt ein weiterer Mann das Geschäft. Er trägt einen Rucksack, Bart, Brille und geht direkt zur Kasse, um nach abgepackten Suppenzutaten zu fragen, wahrscheinlich so ein all-inclusive-Paket, gestern noch da, heute leider schon wieder weg. Enttäuscht verlässt er den Laden so schnell wie er gekommen ist.

Die Verkäuferin ist schweigsam. Sie verzieht keine Miene und spricht so leise, dass sie kaum zu verstehen ist. Das ganze Ambiente dieses Asialadens am Halleschen Tor würde gut zu einem dieser Action- Filme passen, in denen in chinesischen Restaurants im Hinterzimmer Geldwäsche betrieben wird, oder in dem Mafia-Bosse vor Stapeln von Geldnoten sitzen, rauchen, Whiskey trinken und Poker spielen. Das junge Pärchen aber greift an der Kasse der Nostalgie zuliebe noch schnell nach einer Limo, die den Geschmack der Chupa Chups-Lollis haben soll, bezahlt und kämpft sich an der Tür vorbei wieder nach draußen. •

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