Kreuzberger Chronik
März 2021 - Ausgabe 227

Geschichten & Geschichte

O ewich ist so lanck! (16):
Der Geschichte 16. Teil: Werner Schroeter



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von Eckhard Siepmann

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Es war eine illustre Gesellschaft, die sich an einem freundlichen Morgen im April des Jahres 2010 vor der Kapelle an der Bergmannstraße eingefunden hatte: Filmsternchen, Theaterschauspieler, Tenöre, intellektuelle Junkies, Geliebte beiderlei Geschlechts und natürlich Neugierige aller Couleur. Die vorwiegende Kleiderfarbe war schwarz – weniger ein Zeichen der Trauer als ein zur Schau gestelltes tragisches Lebensgefühl: Diese Gemeinde war sich einig mit dem Dahingegangenen über die Düsternis der Existenz in einer Welt, die aus den Fugen gegangen war. Die als Reaktion nur noch eine dauernde Melancholie zulässt, ummantelt mit einem Flickenkleid irrlichternder Erotik.

Die Totenglocke läutete für den experimentierfreudigen Filmemacher und Theaterregisseur Werner Schroeter, Freund und Kollege von Rainer Werner Fassbinder und Rosa von Praunheim, Verehrer und Gesprächspartner der italienischen Operndiva Maria Callas und des französischen Starphilosophen Michel Foucault, ausgezeichnet mit dem Goldenen Bären am Marlene-Dietrich-Platz und mit dem Goldenen Löwen der venezianischen Biennale.

Der Filmemacher kam 1945 in Thüringen zur Welt. Sechs Jahre später zog die Familie nach Westdeutschland. Zur eigentlichen Erzieherin wurde seine polnische Großmutter, deren Traum es war, Schauspielerin zu werden. Sie erfand für Werner und seinen Bruder Rollen, oft „in einer düsteren poetischen Parallelwelt«. Und so ist es kein Wunder, dass der Siebenjährige auf die Frage „Na Werner, was willst du denn mal werden?« umstandslos antwortete „Regisseur von Filmen«.

Das Leben in Bielefeld hielt er nicht lang aus, schon mit vierzehn Jahren war er „von zu Hause abgehauen und eineinhalb Jahre auf einer süditalienischen Schule.« 1967 beginnt er in München ein Filmstudium, das er nach 14. Tagen wieder aufgibt, reist zu einem Filmfestival nach Knokke und lernt dort die Crème der europäischen Experimentalfilmer kennen.

„Es gibt keinen Zufall«, sagt Schroeter, doch als er auf der Wand eines Kinos in Mannheim die türkischen Worte Eika Katappa las, war der Titel seines neuen Films gefunden. Später fand er heraus, dass das „verstreute Bilder« hieß – zufällig passend! In einem Eisenbahnabteil fiel ihm ein interessant aussehender junger Mann auf - Schroeter fragte ihn, ob er an einer Hauptrolle in einem Film interessiert sei. Er war es, und er spielte. Und als Schroeters Blick in einem Café in Heidelberg auf die geschäftige Kellnerin fiel, war er wie vom Donner gerührt. So wurde aus Erika Kluge Magdalena Montezuma, gefeierte Heroine zahlreicher Schroeter-Filme und eine lebenslange Freundin.

Mit 13 Jahren hört er erstmals die Sängerin Maria Callas und ist hin und weg. Er kriegt vor Aufregung Nasenbluten. Die Callas ist für ihn sein Leben lang eine „Botin zwischen Gott und den Menschen«, ihr Mezzosopran klingt, „als würde man Sterne aus einem Aschehaufen zum Himmel schleudern«.


In seinem Nachruf auf die Sängerin, die im Alter von 53 Jahren starb, schwärmt er, dass sie „in ihrer Ausdruckskraft die Zeit so lange stehenlassen konnte, bis jede Angst verschwand, auch die vor dem Tode selbst.«

Vielleicht hat er mit seiner Kunst etwas Verwandtes versucht. Musik war unverzichtbar in seinen experimentellen Filmen. Seine Theaterarbeit in den 70er und 80er Jahren umfasste neben dem Schauspiel auch die Opernregie: 1973 Salome von Oscar Wilde in Bochum, 1979 Lohengrin von Wagner in Kassel, 1986 Leonce und Lena von Büchner in Bremen, 1990 König Lear von Shakespeare in Düsseldorf. Seine wohl wichtigsten Filme: Der Bomberpilot (1970), Palermo oder Wolfsburg (1979), Der Rosenkönig (1984 -86), Malina (nach Ingeborg Bachmann, 1990)

Schroeters Film- und Theaterarbeit ist von dem gleichen pessimistischen Lebensgefühl getragen. Alles dreht sich um Leidenschaft, Trauer und Tod. Schroeter sucht nach neuen exzentrischen Ausdrucksformen und scheut dabei weder extremen Manierismus noch erotischen und psychischen Exhibitionismus. Hemmungslos überschreitet er fast jede Grenze und strauchelt dabei immer wieder. Über seinen letzten Film „Diese Nacht« (2008) urteilt ein Kritiker: „Immer klischeehafter wirken die Bilder: Natürlich tragen die Bösen lange, schwarze Ledermäntel und foltern wunderschöne Frauen in tief dekolletierten Abendkleidern.«

Am 12. April 2010 stirbt Schroeter in Kassel an Krebs. Sein Leichnam wird nach Kreuzberg überführt. Auf seinem Grab liegen zwei Grabsteine: Der seine und der von Magdalena Montezuma, die auf dem gleichen Friedhof begraben liegt. 2015 wurde ihr Stein von Fans dem von Schroeter beigesellt - wahrscheinlich weltweit das einzige Single-Grab mit zwei Namen, einem männlichen und einem weiblichen.

Die nahe dem Friedhofseingang angebrachte Liste der berühmten Grabinhaber verzeichnet weder Werner Schroeter noch Magdalena Montezuma. Kaum noch jemand kennt heute ihre Namen oder ihre Filme – außer einer kleinen Gemeinde aus Grufties und Homosexuellen beiderlei Geschlechts sowie Historikern des Avantgardefilms, für die die beiden unsterbliche Götter und ihre Werke Himmelsgaben sind.

Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes bekundet in steinernen Lettern die rote Backsteinkapelle zur Bergmannstraße hin. Möge diese Ruhe dem unruhigen und unbehausten Film- und Theaterexperimentator beschieden sein in seinem efeuüberwachsenen, von einem Engel bewachten letzten Refugium. •

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