Kreuzberger Chronik
Juni 2021 - Ausgabe 230

Kanzlei Hilfreich

Hilfreich ist die letzte Rettung


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von Kajo Frings

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Herr Krämer und Frau Basig lernten sich kennen, kaum dass er seine neue Wohnung bezogen hatte. Sie sprach ihn beim türkischen Bäcker an: »Mögen Sie die Toten Hosen?« - »Ja sehr, wie kommen Sie da drauf?« - »Weil ich in der 11 im zweiten Stock wohne und seit einer Woche Tote Hosen höre.« - »Bin ich zu laut ?« Die Frau Basig wohnte im zweiten Stock, Wand an Wand mit dem Tote Hosen-Fan aus der Nummer 12. Sie sagte: »Ja, und wenn Sie Ihre Lautsprecher um 90 Grad drehen würden, könnte ich ungestört die Ärzte hören.«
So kamen sie ins Gespräch, der Düsseldorfer und die Berlinerin. Sie trafen sich dann öfter, besuchten sich in ihren Wohnungen, immer zwei Treppen runter und wieder zwei Treppen hoch. Eines Tages bat er sie um einen Gefallen: »Kann ich meine Musikanlage und mein MacBook für ein paar Tage bei Dir unterstellen?« - »Warum das denn?« »Ach ich hab in Wessiland noch ein paar Schulden und der Gerichtsvollzieher hat sich angesagt.« Sie tat ihm den Gefallen. Er schleppte dann nahezu seine gesamte Wohnungseinrichtung zwei Treppen runter, zwei Treppen hoch. Ein paar Tage später das ganze umgekehrt. Weil er es in der nahezu leeren Wohnung ungemütlich fand, blieb er eine Nacht bei ihr. Und dann noch eine.
Irgendwann bestand ein Gläubiger auf der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung über sein Unvermögen, die Schulden zu begleichen. Der Gerichtsvollzieher sagte zum Abschied: »In drei Jahren sehen wir uns wieder. - Aber es kann auch sein, dass ich mal überraschend unangemeldet komme.« Frau Basig hatte etwas Stress mit ihrem Gaslieferanten, der wie aus heiterem Himmel auf der Bezahlung der Rechnung bestand, obwohl sie ja längst einen neuen Anbieter hatte.
Es kam wie es kommen musste: Der Gerichtsvollzieher kündigte sich an und sie fragte bei Herrn Krämer an, ob sie nicht mal für einige Tage ihre Wertsachen bei ihm unterstellen könne. Also alles zwei Treppen runter und zwei Treppen rauf. Fernseher, Stereoanlage, die Handstrickmaschine... Und dann gab es da noch den Bekannten aus dem Anno, der konnte Wände hochziehen, Wände einreißen, statisch einwandfrei, auch ohne Baugenehmigung. So entstand in der Brandschutzwand zwischen der 11 und der 12 ein bücherwandgroßer Durchgang. Dahineingebaut wurde eine Bücherwand, nahezu freischwebend, in der Decke und dem Fußboden mit einem großen Holzzapfen verankert. Und diese Bücherwand ließ sich drehen.
Wenn der Gerichtsvollzieher kam, brauchten sie keine Treppen mehr zu laufen. Und wenn sie eine Nacht miteinander verbringen wollten, auch nicht. Bis dann eines Tages dem Gerichtsvollzieher auffiel, dass in beiden Wohnungen dieselbe Bücherwand stand. Der Freund aus dem Anno empfahl ihnen dann Rechtsanwalt Hilfreich. •

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