Kreuzberger Chronik
Dez. 2021/ 2022 - Ausgabe 235

Geschichten & Geschichte

Kreuzbergs Jemüsekirchen - Die Kleine Markthalle


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von Werner von Westhafen

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Bimmel Bolle und Bolles Kuhdestille waren gerade in aller Munde, als Ende des 19. Jahrhunderts eine nicht weniger amüsante Wortkreation in Berlin die Runde machte: Die Jemüsekirchen. Damit bezeichneten die Berliner die mit Türmchen, Pilastern und kunstvollen Fensterbögen versehenen Backsteinpaläste der Markthallen, mit denen die Hauptstadt den Konsumtempeln in Paris, Rom, London und Madrid Konkurrenz machte. Im heutigen Kreuzberg standen den damaligen Luisenstädtern gleich drei Hallen zur Verfügung. Eine wurde nicht weit vom Luisenstädtischen Kanal an der Waldemarstraße errichtet. Sie beendete den langjährigen Streit um die lauten Wochenmärkte an den Ufern des Kanals. (Vgl. Kreuzberger Chronik, Ausgabe 234)

»Wozu sind die Markthallen gebaut worden, wenn dies in bewohnten Straßen sein muss? Ein Schmerzenschrei aus der Waldemarstraße«, titelte am 18. September 1886 das Berliner Tagblatt und ergreift Partei für die durch Lärm und Gestank der Märkte belästigten Anwohner. Doch so dringlich die Errichtung der Markthalle auch zu sein schien: Es vergingen Jahre, bis der Bau realisiert werden konnte. Der Grund dafür war das vom Magistrat anvisierte Baugrundstück, ein ehemaliges Militärgelände, das seit Jahrzehnten brach lag, weil man im Stadtschloss noch immer mit einem repräsentativen Staatsbau auf dem Areal am Kanal liebäugelte. Deshalb diente das Grundstück mit den Bretterbuden nach dem Abzug des Militärs zunächst als Lagerplatz für Baumaterialien staatlicher Projekte, später als Geräteschuppen für die städtischen Gärtner. Noch 1883, als der Magistrat das Grundstück für den Bau der Markthalle nutzen möchte, erteilten die Königlichen eine Absage und verpachteten das Grundstück an einen Holzhändler.

Unter dem Druck der Öffentlichkeit gaben sie 1887 endlich nach.Noch im April desselben Jahres konnte mit den Arbeiten begonnen und bereits im Mai 1888 die Markthalle VII feierlich eröffnet werden.

Die Luisenstädter staunten. Wer eine langweilige Halle mit langen Reihen von Obst- und Gemüseständen, stinkenden Fischfrauen und fleischigen Fleischern erwartet hatte, wurde schon angesichts des Eingangsportals mit zwei achtzehn Meter hohen, achteckigen Türmen eines Besseren belehrt. Auf einer Wendeltreppe im Innern der Türmchen gelangte man zu den sechs Meter hohen Fahnenstangen, die dem Gebäude an Festtagen schon von Ferne einen feierlichen Anblick verliehen.

Das etwa 60 Meter lange Gebäude war eine Welt für sich, und alles in dieser Welt schien gut durchdacht. Auf der Nordseite war ein zweistöckiges Gebäude errichtet worden, in dessen Erdgeschoss die Diensträume der Markthallenverwaltung und ein Polizeibüro lagen, während im Obergeschoss die »Aufenthaltsräume für die Marktaufseher und Materialienräume« eingerichtet wurden.

Auch am südlichen Ende der Halle, nah beim Kanal, war ein zweistöckiges Gebäude angegliedert mit dazugehörigem Vorgarten. Der kleine Schankgarten gehörte zur Markthallenwirtschaft und war »mit besonderer Rücksicht darauf bepflanzt worden, daß er dem Schankwirth möglichst viel Raum zum Aufstellen von Tischen gab.« Im Erdgeschoss befanden sich Schankraum, Küche und Toiletten, während im Obergeschoss die Wohnung des Gastwirtes und die »Schlafräume für das Gesinde« lagen.

Am meisten allerdings imponierte den Luisenstädtern die eigentliche Verkaufshalle. Mit den hohen Glasdächern, den drei Meter breiten Wegen und den langen Geschäftszeilen mit ihren Granitborden und Wasserrinnen, den Fischbecken aus echtem Carrara-Marmor, den hydraulischen Anlagen, Kühlhäusern und Beleuchtungen befand sie sich auf dem neuesten Stand der Technik. Das Angebot war großartig, allein 75 Stände für Fleisch und Wurst standen den Hausfrauen zur Auswahl, sowie 22 Fischhändler und 152 Stände für »Grünkram, Obst, Butter u.s.w.« Hinzu kamen »275 Quadratmeter Standinseln ohne feste Einrichtungen« für »sogenannte Fliegende Händler«. Von einem derartigen Angebot und einer so großen Auswahl können heutige Hallen und Supermärkte nur noch träumen.

Doch nicht nur die einfachen Leute aus der Nachbarschaft, die zuvor auf den Märkten unter freiem Himmel eingekauft hatten, waren voll des Lobes. Der bekannte Berliner Feuilletonist und Reiseschriftsteller Julius Rodenberg schrieb nicht ohne Augenzwinkern:

»Als wir in die vom Frühlingssonnenschein durchflutete Halle traten, da schwammen die Fische so vergnügt in ihren Kübeln, hingen die großen Braten so verlockend an ihren Krampen, entsandten die Blumen und die Käse so lieblichen Duft, standen die trefflichen Marktweiber so würdevoll in ihrem neuen Palast (...), daß wir demutsvoll die Augen niederschlugen und im Herzen dem Magistrat von Berlin ein Lob sangen, der alles so herrlich vollbracht.«

Die Begeisterung von damals bedeutete nachfolgenden Generationen von Politikern wenig. Bald lösten Kaufhäuser die Markthallen ab, dann fielen die Bomben und später die Berliner Mauer. Was nach alledem noch erhalten war, rückte ins Visier moderner Investoren, und heute sind von vierzehn historischen Hallen nur noch vier erhalten. Von der Markthalle VII ist noch das Wirtshaus »Zur kleinen Markthalle« geblieben, und wer im Sommer im Garten hinter dem schmiedeeisernen Geländer unter der alten Linde sitzt und einige Bier trinkt, kann sich noch vorstellen, wie es war, als hier nur wenige Meter entfernt die Schiffe vorüberglitten. •


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