Kreuzberger Chronik
Juni 2020 - Ausgabe 220

Geschichten & Geschichte

O ewich ist so lanck! (14):
Die Geschwister Mendelssohn



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von Eckhard Siepmann

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Eine so große Familienfeier dürfte es zu Lebzeiten der Mendelssohns kaum gegeben haben: Auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof an der Baruther Straße sind 28 Mendelssohns versammelt, ihre Ehegesponse einbegriffen. Eine Kapelle in der Nähe der Gräber zeigt seit 2013 eine Ausstellung, die Mendelssohn-Fans und allen Neugierigen die Verzweigtheit und Produktivität dieser Familie vor Augen führt.

Erster Superstar dieses jüdischen Geschlechts ist Moses Mendelssohn. Das stotternde und bucklige Kind beschäftigte sich schon früh mit Philosophie. Beim Schachspiel lernte er Lessing kennen und wurde zu einem Promoter der Aufklärung und der jüdischen Assimilation in Deutschland. Seine Tochter Brendel war die erotische Abgöttin des Romantikers Friedrich Schlegel, und sein Sohn Abraham zeugte unter anderem die weltberühmten Musiker Felix und Fanny.

Fanny Zippora Mendelssohn erblickte 1805 das Licht der Welt. Zippora hieß sie wohl, weil das der Name der Gattin des alttestamentlichen Moses war. Als Gott Moses mal töten wollte, schnitt Zippora einem ihrer Söhne mit einem scharfen Stein die Vorhaut ab und berührte mit dem blutenden Gebilde Moses Füße, woraufhin Gott von Moses abließ.

Vier Jahre nach Fanny kam Felix auf die Welt. Damit war ein lebenslanges geschwisterliches Liebesverhältnis gestiftet, dessen Schau- seite eine beiderseitige musikalische Begabung war. Lea, die Mutter der beiden, war eine bedeutende Pianistin und Organisatorin eines musikalischen Salons, in dem schon bald vier ihrer Kinder brillierten.

Als Fanny 13 war, spielte sie alle 24 Präludien aus dem Wohltemperierten Klavier von Bach, auswendig! Ihrem Vater schenkten die Geschwister zum Geburtstag zwei Kompositionen, da waren sie 10 und 14 Jahre alt. Schon bald entschied Abraham über das Schicksal der Wunderkinder: »Die Musik wird für Felix vielleicht Beruf, während sie für Dich stets nur Zierde, niemals Grundbaß Deines Seins und Tuns werden kann und soll.« Eine Veröffentlichung ihrer Tondichtungen kam nicht in Frage, eine bürgerliche Frau durfte nicht berufstätig sein.

Felix aber komponierte munter drauf los. Schon in der Pubertät ersann er zahlreiche Sinfonien und ein Singspiel, alles noch ein bisschen epigonal. Aus dem Schatten Bachs und Beethovens trat er heraus, als er mit 17 eine Ouvertüre zu Shakespeares Sommernachts-traum ersann. Da war der ganze Mendelssohn schon da und die Musikwelt perplex. Mit 20 Jahren holte er die Matthäus-Passion aus der Mottenkiste, in der sie seit Bachs Tod geschlafen hatte.

Die ruppige Art der Berliner aber sagte dem empfindlichen Komponisten nicht zu. »Je weniger ich von Berlin und den Berlinern zu sehen bekomme, desto rechter ist es mir.« Er verlasse das Haus nur, schrieb er einem Freund, wenn es unbedingt notwendig sei. Er hielt sich lieber an die sanfte Fanny, die alles verkörperte, was seine Musik versprach: Ausgeglichenheit, Lebenszugewandtheit, Leichtigkeit.

Abraham erzog seine Kinder christlich und ließ sie protestantisch taufen. Die Konversion war für Juden Voraussetzung für eine bürgerliche Existenz. Die Namen wurden angepasst: Felix hieß nun auch Jakob Ludwig, und aus Fanny Zippora wurde Fanny Cäcilie.

Auf der Suche nach einem Zusatz zu dem verdächtig jüdisch klingenden Mendelssohn erinnerte man sich des Vorbesitzers des Gartens der Familie, der hieß Bartholdy. Mendelssohn-Bartholdy, das klang gut. Und klingt bis heute. Doch auch der neurotische Judenhass verfolgt Felix und seine Familie bis heute. Richard Wagner, für den ein Jude der »plastische Dämon des Verfalls der Menschheit« war, verspottete Mendelssohns Werke als das »Judentum in der Musik« , durch das die »deutsche Rassenseele vergiftet« würde. Beifall von Seiten eines dumpfen Deutschtums!

Wenig später verboten die Nazis Aufführungen der Werke des »Juden Mendelssohn«, sein Denkmal lag 1937 zerschmettert vor dem Leipziger Gewandthaus. Und heute? 2020? Im letzten November wurde die Mendelssohn-Ausstellung in der Friedhofskapelle auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof am Halleschen Tor verwüstet. Schaukästen, Tafeln und Wände wurden demoliert und die Wände mit Hakenkreuzen beschmiert.

Aber bleiben wir noch für einen Moment bei den Lebenden: Als Fanny 1829 den Hofmaler Wilhelm Hensel heiratete, erklang in der Parochialkirche ein von ihr ersonnenes Orgelwerk. Sie veröffentlichte ihre ersten Kompositionen, Lieder für das Pianoforte, die nicht von einer Stimme, sondern von den Fingern gesungen wurden, wie sich Fanny ausdrückte.

1847 dann die Katastrophe. Mitten in der Chorprobe zu einer Komposition des Bruders fiel Fanny tot um. Von diesem Schlag sollte sich auch Felix nicht mehr erholen. Er komponierte noch ein Streichquartett in F-Moll, in dem die Leichtigkeit früherer Arbeiten einer schmerzhaften Düsternis und Zerrissenheit weicht. Nach mehreren Schlaganfällen folgte er noch im gleichen Jahr der geliebten Schwester in den Tod, gerade 38 Jahre alt.

Im Vorjahr hatte er die Schwester zum letzten Mal gesehen, in Berlin. Fanny beschwerte sich, dass er in den vergangenen Jahren ihren Geburtstag vergessen hätte. Beim Abschiednehmen versicherte er ihr: »Verlass dich drauf, das nächste Mal bin ich bei dir.« Und so kam es dann auch; sie sind sich unter den Grabkreuzen weiter nah, und wir dürfen für Momente dabei sein. Gegen Abend erinnert uns dort eine Amsel daran, welch betörende Musikerin die Natur ist. •

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