Kreuzberger Chronik
Februar 2020 - Ausgabe 216

Hausverbot

Der Nackte aus dem Morgenland


linie

von Michael Unfried

1pixgif
Es war Sommer, die Wiener Straße war voller Menschen und der Laden gerammelt voll, und halb Kreuzberg im Café Morgenland zum Abendessen verabredet. Und Mustafa, der das Restaurant mit seinen Brüdern vor ein paar Jahren aufgemacht hatte, musste in der Küche aushelfen.

Plötzlich kam die Kellnerin herein: »Du, Musti, da hinten in der Ecke ist ein Qualm, als ob da was brennt!«.

Mustafa sah die dicken Nebelschwaden schon durch die offene Küchentür, »Du konntest schon keine Tische und Stühle mehr sehen in der Ecke, so dicht stand der Rauch.«

Er bahnte sich einen Weg zwischen Tischen und Qualm bis in die letzte Ecke. Da saß ein Hippie mit seiner Freundin und rauchte einen Joint, »nen halben Meter lang und so dick wie´n Ofenrohr«.

Mustafa blieb ganz ruhig und sagte: »Entschuldigen Sie, aber das hier ist eigentlich ein Restaurant und keine Bar. Die Leute kommen zum Essen hierher. Da können Sie doch nicht so´n Ofenrohr hier anzünden!«

Der Raucher lächelte ihn an und drückte in aller Seelenruhe und ohne ein Wort zu sagen den Joint im Aschenbecher aus.

Zehn Minuten später kam die Kellnerin wieder in die Küche. Wieder drangen Rauchschwaden aus der Ecke, wieder bahnte sich Mustafa seinen Weg zwischen den Tischen bis zur Quelle des Qualms. »Da saß dieser Typ jetzt splitternackt am Tisch und hatte die Klamotten über die Lehne des Nachbarstuhles gelegt, zuletzt ganz oben seine Unterhose. Er rauchte wieder seinen Joint, während die Freundin, gut gekleidet, mit Messer und Gabel ihr Abendessen verspeiste.«

Mustafa fielen keine anderen Worte ein als zuvor: »Entschuldigen Sie, aber das hier ist ein Speiselokal und keine Stripteasebar. Die Leute kommen zum Essen hierher… - Würden Sie bitte Ihre Hose wieder anziehen und das Rauchen einstellen!«

Wieder lächelte der Hippie ihn wortlos und freundlich an, löschte das Feuer, erhob sich und zog seine Unterhose an. Während die Freundin der Szene kaum Beachtung zu schenken schien und sich mit ihrem Falaffellteller beschäftigte.

»Beim dritten Mal hätte ich ihn rausgeworfen!«, aber irgendwann standen sie auf, bezahlten, als wäre nichts gewesen, und verließen das Lokal - er in der Unterhose, sie im Kostüm.

Das seltsame Pärchen blieb ihm ein Rätsel, bis er die beiden eines Nachmittags gegenüber im Vion sitzen und rauchen sah. Das Vion war eine der letzten Hippie-Kneipen, deren Chef von Anfang an skeptische Blicke auf das Morgenland geworfen hatte. »Wahrscheinlich haben die da drüben die ganze Zeit am Fenster gestanden und gegrölt, wenn sie sahen, wie ich da so höflich vor dem Tisch stand...« •


zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg