Kreuzberger Chronik
April 2020 - Ausgabe 218

Strassen, Häuser, Höfe

Am Ende der Buckower Straße


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von Werner von Westhafen

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Schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts führte ein schmaler Sandweg von der Stadtmitte nach Buckow. 100 Jahre später kreuzte plötzlich ein tiefer Wassergraben den Verlauf des Weges: Der Luisenstädtische Kanal teilte das Sträßchen in zwei Teile.

Am 3. Februar des Jahres 1864 erhielt das Straßenstück westlich des neuen Kanals den Namen Buckower Straße und trug ihn mehr als achtzig Jahre lang bis zum 31. August 1949. Auf der östlichen Seite hatte die Straße nach Buckow bereits im 7. April des Jahres 1849 den Namen des just verstorbenen Kronprinzen Waldemar erhalten. Der junge Mann war von einer Asienreise, auf der er bis ins sagenumwobene Tibet vorgestoßen war (vgl. Kreuzberger Chronik Nr. 55), derart entkräftet heimgekehrt, dass schon wenig später einige in fernen Ländern gesammelte Blumen und das östliche Stück der gerade frisch gepflasterten Straße nach Buckow seinen Namen erhielten. Hundert Jahre später benannte man das Stück westlich des längst wieder zugeschütteten Kanals ebenfalls nach dem Kronprinzen Waldemar. Diese Umbenennung hätte freilich schon viel früher stattfinden können, denn schon seit vielen Jahren verband eine Brücke die einst durch den Kanal geteilte Straße wieder miteinander.

Auch die Brücke, die nach dem Krieg nicht nur zwei Straßenhälften, sondern auch zwei Staaten zumindest potentiell miteinander verband, trägt seit 1889 den Namen Waldemars. Sie überquert jetzt allerdings keine Wasserstraße mehr, sondern Kreuzbergs längsten Grünzug, der sich zwischen dem Urbanhafen am Landwehrkanal bis zur Spree erstreckt und im Norden seit 1961 die Staatsgrenze zwischen Ost- und Westberlin markierte.

Die Waldemar-Brücke ist ein filigranes, leicht zu übersehendes Bauwerk, aber ihre Entstehungsgeschichte ist bedeutend und beweist einmal mehr, dass schon die Vorfahren der aufmüpfigen Kreuzberger, die alten Luisenstädter, kein unterwürfiges Volk waren und sich schon immer vehement in die Planungen des Magistrats einmischten.


Plan der Waldemarbrücke 1889






Schon 1864, im selben Jahr also, in dem die Buckower Straße ihren Namen erhielt, klagten einige Bürger über eine fehlende Brücke und stellten in der Stadtverordnetenversammlung einen Antrag, in dem sie zur Entlastung der Oranienbrücke eine weitere Verbindung über den Kanal zwischen Waldemar- und Buckower Straße forderten. Der Magistrat lehnte den Bau einer weiteren Brücke allerdings aus Kostengründen ab. Doch die Luisenstädter gaben nicht nach, sie richteten weitere Gesuche an die Versammlungen und konnten sogar das königliche Polizeipräsidium für sich gewinnen. Allein der Magistrat fand kein Geld »für dergleichen Bauten«.

Die Versammlungen der Luisenstädter wurden immer größer. Sie sammelten Unterschriften, nahmen Verkehrszählungen vor und teilten dem Magistrat mit, dass allein zwischen halb sieben und halb acht Uhr abends 6000 Personen die Oranienbrücke überquerten, die sämtlich im Viertel an der Waldemarstraße wohnten. Doch der Magistrat blieb stur, nicht einmal zu einem günstigen Floßbetrieb konnten die Bürger die Regierenden überreden.

Als der Magistrat endlich einlenkte und sich zum Bau einer Holzbrücke bereiterklärte, hatte sich die Stadt verändert. Allein im letzten Jahr waren 10.000 neue Bewohner in die Luisenstadt gezogen. Die ursprünglich geplante schmale Holzbrücke wurde den aktuellen Ansprüchen nicht mehr gerecht, und für eine steinerne Straßenbrücke fehlte das Geld erst recht. Bereits 16 Mal hatten sich die Stadtverordneten mit dem Anliegen der Luisenstädter schon befassen müssen, als die Sache 1888 regelrecht eskalierte: Beinahe monatlich gingen nun die Petitionen verschiedenster Gruppen ein, die alle nur eines wollten: eine Brücke zwischen Waldemar- und Buckower Straße.

Doch auch nachdem die Stadtverordneten endlich zugestimmt hatten, vergingen noch einmal sechs Jahre, wurden an anderen Stellen bereits drei neue Brücken über den Kanal geschlagen, bis der Magistrat dem permanenten Druck nachgab und den Bau der lang ersehnten Waldemar-Brücke genehmigte. Im August des Jahres 1889 - nach 26 Jahren eines scheinbar aussichtslosen Kampfes der Bürger gegen den Magistrat - wurde mit den Bauarbeiten begonnen, ein Jahr später die Brücke feierlich eingeweiht und das lose Ende der Buckower Straße wieder mit der Waldemarstraße verbunden.

Der Kampf der Luisenstädter hat sich gelohnt. Vierzig Jahre tat die Brücke ihren Dienst, und als Anfang der Zwanzigerjahre der Kanal wieder zugeschüttet wurde, war sie die einzige von elf Brücken, die blieb. Diesmal fehlte es der Stadt am Geld für den Abriss!

Die Waldemar- Brücke 2020






Die Bürgerbrücke überlebte allerdings nicht nur den Kanal, sondern auch den Krieg und die Teilung der Stadt, wenn auch der Durchgang zugemauert wurde und die Verbindung von Ost nach West vierzig Jahre lang versperrt blieb. Dann musste sogar eine Staatsregierung dem Willen des Volkes nachgeben. •

Literaturnachweis: Frank Eberhardt in der Berlinischen Monatszeitschrift, Juni 1996, Seite 25 ff)


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