Kreuzberger Chronik
April 2020 - Ausgabe 218

Geschäfte

Bike:co:holics


linie

von Sybille Matuschek

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Namen wie »Little John Bikes« oder »Zentralrad« sagen nichts.
Doch einer sagt etwas und hält, was er verspricht: Bike:co:holics.



Es regnet, unaufhörlich. Kein Mensch steigt an solchen Tagen aufs Rad. Es sei denn, er trägt so einen Regenmantel wie die junge Blonde mit dem Marilyn-Monroe-Dutt. Wann sonst hat man die Möglichkeit, dieses glänzende, schwarze Regencape, das von Armani oder Versace sein könnte, zu zeigen.

Nun schiebt die Dame, die ebenso gut aus einem Porsche Carrera wie aus einer amerikanischen Komödie über Millionäre gestiegen sein könnte, ihr Rad quer vor die Tür des Fahrradladens, lässt den Ständer herunter, blockiert für alle nach ihr Kommenden den Eingang und klappt noch auf der Straße ihr neuestes Notebook mit dem Apfel-emblem auf. Schön steht sie da im Schein des kleinen Bildschirms auf dem regennassen Straßenpflaster und wartet darauf, dass jemand zu ihr herauskommt. Ganz so, als wäre sie mit ihrem Cabrio an der Tankstelle vorgefahren und warte auf den Blaumann mit dem Schlauch.

Auf welcher Party sie gehört hat, dass der Typ in der Gneisenaustraße wahrscheinlich der beste Fahrradmechaniker von ganz Kreuzberg ist, erschließt sich keinem der beiden tätowierten Männer, die im Halbdunkel der Werkstatt mit ihren von Fett und Gummi schwarzen Fingern gerade eine ganze Packung Schokoladenkugeln aufessen. Die beiden Mechaniker beäugen das Rad eines Kunden, das auf Augenhöhe vor ihnen im Raum schwebt. Sie deuten mit der Taschenlampe auf die Zahnräder und erklären dem Fahrer, dass sich Kette und Zahnräder in schätzungsweise drei Jahrzehnten so wunderbar aufeinander eingespielt hätten, dass sie heute eine schier untrennbare Einheit bilden. Eine Trennung, das Auswechseln des einen Teils ohne gleichzeitiges Ersetzen des anderen, sei unmöglich.

Foto: Holger Groß
4»Allerdings«, grübelt der Chef und setzt den Schraubenzieher an... - »naja... also gut...«: die Kette sei noch nicht zu dünn. Man könnte sie noch mal flicken und so lange damit fahren, bis sie das nächste Mal reißt. Ansonsten kostet der Spaß – neue Zahnräder, neue Kette, Einbau – glatt mal 120. Mindestens.

Draußen steht noch immer die Dame im bleichen Schein des Laptops. Der Chef erbarmt sich, geht hinaus, grüßt kurz und hört schweigend zu, was sie erzählt - wobei er nicht den schönen Regenmantel der schönen Marilyn, sondern die ganze Zeit das Rad betrachtet. Der Mann erweckt eindeutig den Eindruck, als spreche er lieber mit einem Rad als mit einer Dame. Ganz anders als etwa die Fahrradverkäufer in den hippen 300- Quadratmeterläden in Mitte. Die machen viele wichtige Worte, formulieren perfekte Sätze und versprühen einen Optimismus, als wären sie Politiker. Der Mann in der Gneisenaustraße ist wortkarg. Nachdenklich. Er läuft mehrmals um das Rad herum, bückt sich, kontrolliert die Züge und die Spannung der Kette, zögert keine Sekunde, sich die Finger noch ein bisschen schmutziger zu machen.

Dieser Mann ist eine echte Alternative. Er steht nicht vor dem Rad wie der Chirurg vor der Röntgenaufnahme, richtet seine Aufmerksamkeit nicht nur auf den akuten Defekt, sondern betrachtet das Rad als Ganzes, von oben bis unten, wie ein alter Landarzt.

Sogar Marilyn spürt das: Der Mann, der ihr scheinbar so lustlos entgegentrat und den Eindruck erweckte, als würde er am liebsten alle Schraubschlüssel durch die Scheibe werfen, arbeitet aus Überzeugung. Aus Leidenschaft. »Ich hab schon an meinem Rad herumgeschraubt, da konnt´ ich kaum laufen.«

Später, als er schon Radfahren konnte, schweißte er mit seinem Kumpel Didi in der Werkstatt vom Jugendzentrum im Böcklerpark Fahrrad-Chopper zusammen. Wiederum ein paar Jahre später half er »den Kiddis im Böcklerpark beim Schrauben.« Das machen sie heute noch an den Wochenenden, Didi und Ivo. Sie haben da immer noch die Werkstatt. »Obwohl das längst auch schon privatisiert wurde.« Und so schrauben sie, seit Jahren, im Böcklerpark wie auch in der Gneise-naustraße, Ivo und Didi. Eine echte Männerfreundschaft.

Foto: Holger Groß
Gelernt hat Ivo eigentlich das »Blechschmieden«. Das kommt jedem Rad, das bei ihm landet, zugute. Er hat einen eindrucksvollen Schraubstock, löst jedes noch so festgerostete Teil, schleift und poliert, bis alles wieder glänzt, und zieht keinen Baudenzug ein, ohne ihn vorher Stück für Stück einzufetten und ohne ihn am Ende ordnungsgemäß zu verplomben. Wer einmal neben diesem Mann gestanden und gesehen hat, wie er arbeitet, der kommt wieder.

»Ich kann gar nicht anders. Und wenn die dann kommen und noch herumfeilschen wollen... Kürzlich war einer da, der brauchte einen neuen Mantel. Da seh ich, dass eine Speiche hin ist und ruf den auch noch an und sag ihm, dass ich die auswechsel. Und dann meckert er, weil es teurer wird als abgesprochen.«

So sind sie eben, die Sonntagsfahrer! Aber die kommen eher selten zu ihm rein. Die meisten seiner Kunden sind ganz nett. Wenn sie nicht gerade ihr Fahrrad in der Eingangstür abstellen und ihr Laptop aufklappen. Und pikiert nach diesen schwarzen Fingern schielen, die nach den Schokoladenkugeln greifen. •






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