Kreuzberger Chronik
Oktober 2019 - Ausgabe 213

Hausverbot

Der Gast in der Küche


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von Hans W. Korfmann

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Man brauchte nicht viele Worte in den Siezbigerjahren, um ein Hausverbot auszusprechen, es reichte ein Satz wie: »Also, wenn Du jetzt nicht aufhörst, dann....« Und wenn der Gast dann immer noch nicht aufhörte, dann sprachen die Fäuste.

Selbst im Yorkschlösschen — in dem heute Touristen in Kostümen einwandern, als gingen sie in die Oper, und zum Jazz tanzen, als handelte es sich Tango — ging es zu wie im Westernsaloon. Da bekam René eins mit dem Queue übergezogen und merkte es erst am nächsten Morgen, als das Bein blau war. »Wenn du Dir nachts um drei Uhr, nach einem halben Kasten Bier und voller Adrenalin« einen von diesen Wixern schnappst, die seit einer Stunde das friedlich mit den Billardkugeln spielende Schwulenpärchen anpöbeln, spürst Du nichts mehr.

Dann schlägt man instinktiv zu. Es sei denn, jemand hält einen zurück. So wie an dem Abend - auch wieder im Yorckschlösschen, auch wieder um drei Uhr morgens - als die drei letzten Gäste immer noch vor ihrem Bier sitzen, obwohl René schon vor zwei Stunden gesagt hat, dass das jetzt die letzte Runde ist. »Kinder, eure Gläser sind ja immer noch drei viertel voll, jetzt trinkt mal aus!« – Und da steht dieser Typ auf und schüttet ihm sein Dreiviertel ins Gesicht. René wollte auf ihn losgehen, aber von hinten fiel ihm Gilbert in den Arm.

René ist der geborene Kneipier, schon die Eltern handelten mit Bier und Schnaps. Später hatte René ein Lokal am Olivaer Platz. Als er dort aufhörte und den Haushalt auflöste, kam Olaf vom Yorckschlösschen, um sich Töpfe und Pfannen für die Küche abzuholen. Die beiden verstanden sich und Olaf fragte, ob er nicht bei ihm arbeiten wolle. Aber René wollte erst mal weg, weit weg. Ein paar Monate später allerdings stand er dann doch im Schlösschen hinterm Tresen und in der Küche. Und da war es manchmal noch immer ein bisschen so wie in den Siebzigern.

Inzwischen ist das Leben ruhiger geworden. René schenkt im Kleinen Weinstock an vier Tischen in der Fidicinstraße jeden Nachmittag ein paar Gläser Bier und Wein aus. Die Zeiten, als Hausverbote noch mit Fäusten ausgesprochen wurden, sind vorüber. Selbst der Stammgast, der eines Tages plötzlich in der Küche stand, um sich ein Brot zu schmieren, kam ohne blaue Flecken davon: »Sag mal, findest du das korrekt, wenn du hier einfach so in die Küche spazierst und dir ´ne Stulle machst?« – »Na, ich hab doch Hunger!«, sagte der Gast.

Vielleicht wusste er, dass mit René nicht zu Spaßen war. Jedenfalls verzichtete er auf die belegten Brote und kam am nächsten Tag wieder, um sich zu entschuldigen. Womit das unausgesprochene Hausverbot aufgehoben zu sein schien – denn der Hungrige sitzt heute noch da und trinkt sein täglich Flens. •


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