Kreuzberger Chronik
Oktober 2019 - Ausgabe 213

Geschäfte

Die Unzertrennlichen


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von Erwin Tichatzek

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Sie streicheln sie, sie fahren mit ihnen aufs Land, sie geben viel Geld für sie aus. Eine Geschichte von Männern und Autos.

Die Vergangenheit beginnt schon draußen auf der Kreuzbergstraße, in der Einfahrt zum Gewerbehof. Ein alter Torbogen, von dem der Putz bröckelt, darunter ein buckeliges, zweihundert Jahre altes Kopfsteinpflaster, das zwischen dem Seitenflügel mit seinen hölzernen Haustüren und schattigen Vorgärten und der wackeligen Backsteinmauer an der Grundstücksgrenze hindurch in den zweiten Hinterhof führt. Der Hof ist einer der letzten, der noch als Wohnsitz für Fassbinders Bieberkopf in Berlin Alexanderplatz dienen könnte.

Im ersten Hof scheint man sich in jenes Jahrhundert verirrt zu haben, in dem die Gaslampen erloschen und die ersten Glühbirnen aufleuchteten, und in dem die Pferdekutschen von den Automobilen abgelöst wurden. Zwanzig Meter weiter, im zweiten Hof, befindet man sich bereits im 20. Jahrhundert. Vor den alten, grün gestrichenen Garagentüren der ehemaligen Pferdeställe stehen ein Porsche Carrera aus den Sechzigerjahren, ein Triumph, Jahrgang 1968, und ein Ford Mustang mit einem roten Streifen auf der Kühlerhaube. Ganz hinten in der Ecke steht einer der ältesten Stammgäste: Der schwarzglänzende BMW V8 des stadtbekannten Bürstenbinders Volker Schröder, der auf ein Paar neuer Bolzen wartet.

Schröder hat Sinn für Tradition und kann sich von seinem »Barockengel« nicht trennen. Andreas Steinhofer, seit 1997 Chef der Hinterhofschrauber in der Kreuzbergstraße, erkannte das sofort, als er eines Tages neben dem V8 an der Ampel stand. Er kurbelte das Fenster herunter und reichte dem Fahrer die Visitenkarte. Als wenige Monate später Schröders Achtzylinder stotterte, baute Steinhofer den Motor aus und schleppte das wehrlose Auto auf den Hof des Bürstenbinders — nicht, weil der ohne den Anblick seines V8 nicht mehr leben wollte, sondern weil auf dem engen Hinterhof noch eine ganze Reihe anderer Patienten auf lebensrettende Maßnahmen warteten.

Inzwischen gehört der BMW schon zum Inventar der Automobilwerkstatt. Schröder kennt inzwischen alle fünf Mann auf dem Hof: den Chef, der seit »50 Jahren Benzin im Blut« hat, wie er auf seiner Geburtstagseinladung schrieb, ebenso wie Mahro, der nun auch schon seit 12 Jahren in der Kreuzbergstraße schraubt und sagt: »Ich wollte nie Golf reparieren!«

Schröders Barockengel nach der InspektionMahro wollte etwas Besonderes machen, am liebsten zum Rennsport. Jetzt ist er bei den Oldtimern. Und das ist gut so. Da muss man improvisieren, mal was zusammenfeilen, weil es die Teile nicht mehr gibt. Kein Auto ist gleich. »Ich mein´, die Welt werde ich damit nicht verändern, im Gegenteil...«, sagt Mahro und betrachtet den dunkelblauen Triumph mit den glänzenden Speichen. Die Leute, der vor der Bank steht, auf der Mahro gerade sein Frühstück verzehrt

die solche Autos fahren, haben eigentlich zu viel Geld. Schon der Chef sagte zu Volker Schröder: »Eigentlich dürfen Sie so´n Auto gar nicht fahren. Entweder, Sie haben Geld, oder Sie haben ´ne eigene Werkstatt. Sie aber haben weder das eine noch das andere!« Was jedoch alle gemein haben - die reichen Oldtimerbesitzer und die armen Bürstenbinder ebenso wie die Schrauber im Hinterhof: Liebe zum Detail. Zum Design der Sechzigerjahre mit seinen runden Formen. Zu Chrom und Sound und dem unverkennbaren Geruch von Benzin. »Benzin«, sagt Mahro, »stinkt nicht! Es duftet.«

Für derartige olfaktorische Verirrungen dürften die Kreuzberger Radfahrer, die in Autofahrern den größten Feind auf Erden ausgemacht haben, und die smarten Kreuzberger Rollerfahrer, die auf geruchlosen Elektrorollern vom Mehringdamm bis zur Großbeerenstraße fahren, wenig Verständnis haben. Auch wenn sie bei einem Oldtimer eher ein Auge zudrücken als bei einem SUV: Im Grunde sind für sie alle Autofahrer dekadent. Obwohl die Radfahrer von heute ihr teures Rad ebenso zur Heiligen Kuh machen wie die Autofahrer der Siebzigerjahre ihren BMW oder ihren Mercedes.

Aber irgendwie besonders sind sie schon, diese Automobilfans. Diese Männer, die im Hinterhof in der Kreuzbergstraße auftauchen, haben kein normales Verhältnis zu ihrem Auto. Was allerdings nicht heißt, dass sie täglich mit einem Samttuch über die Rundungen ihrer Karossen streichen. »Es gibt solche und solche.« Die einen sind penibel und würden ihren Chevrolet am liebsten zuhause in die Vitrine stellen, und die anderen sind — »jedenfalls in unseren Augen — viel zu nachlässig. Wenn man da die Tür aufmacht, muss man erst mal aufräumen.« Aber auch diejenigen, die ihre Schmuckstücke noch wie ein Auto behandeln und nicht wie ein Museumsstück, lieben es und bleiben ihm manchmal bis ans Lebensende treu. Sie sind echte Liebhaber und unzertrennlich. »Das ist wie bei Hundebesitzern und alten Ehepaaren: Sie werden einander mit der Zeit immer ähnlicher.«

Das unterscheidet sie von der jüngsten Generation. »Der geht es nur noch um Mobilität. Darum, wie sie von A nach B kommt.« Da ist es egal, wie das Moped aussieht oder wie es klingt. Oder wie viel Arbeit in so einem verchromten Spiegel stecken kann. Zu OldiTech allerdings kommt die junge Generation trotzdem. »Ich glaube, wir stehen irgendwo im Reiseführer, jedenfalls kommen die ganz oft hier rein und fotografieren Haus und Hof und Autos.« Die Werkstatt im Herzen von Kreuzberg, wo es sonst nur noch Cafés und Schnickschnackläden gibt, und wo sich kein Handwerker mehr eine Remise leisten kann, wird zur Attraktion. Sie hat Seltenheitswert. Auch für die Besitzer der glänzenden Sorgenkinder. »Wenn es nur eine Kleinigkeit ist, dann können sie kurz vorbeikommen, gehen ein Eis essen oder in die Markthalle, und holen ihr Schmuckstück zwei Stunden später wieder ab.«

Auch Steinhofer, der schon als kleiner Junge lieber an seinen Mopeds herumschraubte als auf ihnen herumfuhr, und der sein Diplom eher pro forma machte, ist glücklich mit seinem Hinterhof. »Eigentlich hab ich immer schon genau das machen wollen, was ich jetzt hier mache.« Genau wie Mahro, der nun endlich so einen alten Mercedes hat. »Das war auch einer von denen, der hier immer zur Pflege stand. Jahrelang.«

Den kannte er schon in und auswendig, jedes Wehwehchen. Und eines Tages sagte sein Fahrer, dass er langsam zu alt sei für das Leben auf der Straße. Dass er nicht mehr so gut sehen könne, und dass er sich jetzt von seinem Liebling trennen müsse. Der Preis, den er dafür aufrief, besiegelte eine alte Freundschaft zwischen Autofahrer und Werkstatt: Es war ein echter Freundschaftspreis.

Ein Leben ohne Werkstatt ist für Mahro schwer vorstellbar. »Ich freu mich jeden Morgen auf die Werkstatt.« Auf den Mustang, den Alpha, den Chevrolet, 60er Jahrgang, den er mit einem Bekannten aus Amerika geholt hat. »Der vermietet Straßenkreuzer an Filmproduktionen«, und wenn er in die USA einkaufen fährt, nimmt er jemanden mit, der was von Autos versteht. »Der Biscayne stand irgendwo in so ´nem Provinzkaff an ´ner Straßenkreuzung. Jetzt steht er in Berlin.«

Von Frauen reden die Schrauber in der Kreuzbergstraße eigentlich nie. Es hängen auch keine Pirelli-Blondinen an den Wänden, die sonst in keiner echten Automobilwerkstatt fehlen. Stattdessen hängt eine Werbetafel an der Wand für den Grand Prix auf dem Nürburgring, 1951. Zur Erinnerung an jene traumhaft fernen Jahre, in denen der Geruch von Benzin mehr wert war als ein Duft von Hugo Boss. •

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