Kreuzberger Chronik
März 2019 - Ausgabe 207

Hausverbot

Eine Frage der Temperatur


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von Horst Unsold

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Das Fräulein Schmidt ist die charmanteste Kuchenverkäuferin Kreuzbergs. Die Kinder lieben sie nicht nur der weißen Mäuse wegen, die Frauen nicht nur wegen der Plaudereien zum Kaffee und auch die Männer natürlich nicht nur ausschließlich ihres Käsekuchens wegen. Sie ist die Natürlichkeit in Person, trägt stets hübsche Kleider und hat immer gute Laune. Es sei denn, Fahrradfahrer rasen zwischen ihren Tischen hindurch die Heimstraße hinunter. Oder aber es kommt jemand auf die Idee, etwas an ihrem Käsekuchen auszusetzen.

So wie dieser Gast, der ihr noch nie angenehm war. Vielleicht der Art wegen, in der dieser ältere Herr seine Bestellung aufgab. Auch dieses Mal, an einem heißen Sommertag, als er draußen Platz nahm, hatte sie das Gefühl, er hätte gerne, dass sie einen Knicks machte oder zumindest eine Verbeugung andeutete, wenn sie an seinen Tisch trat.

»Ich hätte heute gerne mal einen guten Cappuccino und ein hübsches Stückchen Käsekuchen.«, sagte er.

»Cappuccino und Käsekuchen, sehr gern!«, verkürzte die Kuchenverkäuferin den Text und servierte wenig später Kuchen und Kaffee. Dann verschwand sie wieder hinterm Tresen, aber nicht lange, da rief Frau Doris durchs Café: »Kommen Sie doch mal bitte heraus!«

Draußen saß der Gast und starrte auf ein Haar in seiner Kaffeetasse. Zwar war es ein graues Haar, ein Haar von genau jenem Farbton, den der ältere Herr auch auf seinem Kopf trug, aber das schien ihm in seiner Panik entgangen zu sein.

»Könnten Sie bitte das Haar aus meinem Kaffee entfernen?«

Das hätte bereits der Moment sein können, in dem die charmanteste aller Kuchenverkäuferinnen Berlins uncharmant wird. Aber der merkwürdige Wunsch ihres Gastes, sie mit seinem Löffelchen nach dem Haar in seinem Kaffee angeln zu sehen, amüsierte sie.

»Ach, lassen Sie, ich mache Ihnen einen neuen!«, sagte sie und servierte einen zweiten Kaffee. Beim Kassieren fragte sie: »Alles gut?«

»Der Kuchen war gut, aber leider zu kalt!«, sagte der Gast.

»Entschuldigen Sie, aber wir müssen unsere Kuchen auf 6 Grad abkühlen, das ist Pflicht. Außerdem haben wir heute 34 Grad im Schatten, da ist so ein kühles Stück Kuchen doch ganz angenehm.«

Der Gast bewegte die Lippen. Es sah aus, als wolle er noch etwas hinzufügen, doch die Kuchenbäckerin kam ihm zuvor:

»Aber wissen Sie, es gibt in der Bergmannstraße so viele Cafés, da finden Sie sicher eines, das seine Kuchen nicht in der Vitrine kühlt.«

Der sonst so höfliche Gast verlor die Contenance, was das denn für ein Text sei, und er habe doch nur..., und er wolle doch nur..., und er könne doch wohl... - Aber er hatte den Text verstanden. Und kam glücklicher Weise niemals wieder. •


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