Kreuzberger Chronik
Juli 2019 - Ausgabe 211

Hausverbot

Diskussionen bei Dionysos


linie

von Hans W. Korfmann

1pixgif
Panajotis ist ein richtiger Grieche. Er diskutiert gerne über Politik, über Frauen, über Geld, über Fußball und über Essen. Dazu verlässt er die Gneisenaustraße und geht hinüber nach Schöneberg in die Bülowstraße, ins alte Café Pallas, das jetzt Café Neo heißt, was fast schon wie Kafenion klingt. Dort sitzen lauter Griechen und reden über Politik, Frauen, Geld, Fußball und das Essen. Hier verbringt Panajotis seine Freizeit, hier spricht er über Varoufakis und Wolfgang Schäuble, Tsipras und Merkel.

Im Kreis der Familie und in seinem Restaurant in der Gneisenau-straße spricht er nie über Politik. Nicht einmal, wenn es an sämtlichen Tischen seines Lokals nur ein einziges Thema, nämlich den drohenden Grexit, gibt. Eines Abends aber ließ er sich verführen. Ein Gast, der bereits das eine oder andere Glas getrunken hatte, nahm am Tisch neben dem Tresen Platz, an dem auch Panajotis sein Abendmahl einnahm. Er bestellte gebratenen Schafkäse und Wein, nichts Böses ahnend brachte ihm der Wirt noch einen Ouzo zum Aufwärmen, aber schon, als er den Käse reichte, begann der Gast zu nörgeln. »Achtzig Milliarden haben wir Euch gegeben!«, murmelte er vor sich hin.

Panajotis überhörte den Gast lieber. Er hatte alle Hände voll zu tun, das Lokal war voll. Doch jedes Mal auf seinem Weg zum Tresen musste er am Tisch dieses Gastes vorüber: »Achtzig Milliarden haben wir Euch gegeben, und Ihr habt immer noch nicht genug!« Und jedes Mal wurde der Gast ein bisschen lauter. Als die ersten Gäste sich nach dem Tisch umdrehten, sagte Panajotis:

»Ich habe mit Ihren achtzig Millarden nichts zu tun. Ich habe kein Geld von Euch bekommen, meine Taschen sind leer. Ich zahle hier meine Miete, meine Steuern, ich zahle in die Rentenkasse und in die Krankenkasse, genau wie Sie auch.«

Aber der junge Mann, der etwa um die Sechzig war, wurde noch ein bisschen lauter. »Achtzig Milliarden von unseren Steuern! Und dann geht Ihr auch noch vor Gericht und verlangt Kriegsentschädigungen für Distomo, das ist doch eine Unverschämtheit...«

Es wurde lauter, und es dauerte nicht lange, da ruhten die Augen aller Anwesenden auf dem Wirt und seinem Gast. Die einen lachten, die anderen begannen, sich Sorgen um das Mobiliar zu machen. Auch Panajotis begann, sich zu beunruhigen, und sagte:

»Junger Mann, Sie brauchen die Rechnung nicht zu bezahlen, das geht aufs Haus. Aber ich möchte, dass Sie jetzt mein Lokal verlassen!«

Als hätte er nur darauf gewartet, nickte der Gast, erhob sich und ging zur Tür – nicht, ohne beim Hinausgehen noch einmal in bestem Griechisch allen Versammelten »Gali Nikta« – Gute Nacht - zuzurufen. Er wirkte irgendwie zufrieden. Sechs Euro von den achtzig Millarden hatte er schon wieder zurückbekommen! •


zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg