Kreuzberger Chronik
Dez. 2019/Jan. 2020 - Ausgabe 215

Hausverbot

Die Hilliges-Brüder


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von Horst Unsold

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Es war einmal am Viktoriapark, an der Ecke zur Monumentenstraße, eine Kneipe, die hieß Alptraum. Als das Haus am Park verkauft wurde, zogen die Mieter nach und nach alle aus, und im Alptraum, in dem Tag und Nacht die Musicbox gelaufen war, wurde es mit einem Mal still. Seit zehn Jahren ist es jetzt still.

Schon in den Siebzigern, als die Kneipe noch Orpheus hieß, war sie eine Legende. Die Leute standen bis auf die Straße, das Bier floss in Strömen, es wurde nie dunkel in Orpheus´ Unterwelt. Und da die Nächte nie endeten, und weil die Schichten für die Zapfer so lang waren, suchte sich einer von ihnen eine Freundin im Haus am Park, oben im 4. Stock, mit Blick über die halbe Stadt. Das Leben war süß in den Siebzigerjahren.

Eines Nachts - der Zapfer lag bei seiner Freundin mit Blick auf Berlin und schlief schon fest - klingelte das Telefon. Seifert, der Wirt, war dran: »Du, ich hab da ein Problem. Kannste mal runterkommen? Die Hilliges-Truppe ist da.« - »Oh Scheiße!«, murmelte der Zapfer.

Die Hilliges-Brüder kamen aus dem Kiez. Sie wohnten in der Hornstraße, der Yorckstraße oder der Obentrautstraße, und machten seit Jahren die umliegenden Kneipen unsicher. Wenn sie gingen und sich ein Wirt traute, ihnen bis vor die Tür zu folgen und zu sagen: »Hey, was is´n mit Bezahlen?«, dann grinsten sie wie im Western, legten dem Kneipier die Hand auf die Schulter und sagten: »Aber Charly, wir sind doch Freunde! Und unter Freunden zahlt man nicht!« Wenn sich einer sträubte, konnte es ihm ergehen wie dem Rothaarigen, dem sie mit der Rasierklinge den Schädel kahlrasierten, wobei sie wenig Geschick bewiesen. Er soll furchtbar ausgesehen haben.

Die Hilliges-Truppe ging keiner Prügelei aus dem Weg, auch den Bullen nicht. Allerdings hatte es den Eineiigen, den Kopf der Bande, einmal böse erwischt: Er lag am Boden, während die Bullen auf ihn eintraten, immer zwischen die Beine. So brutal, dass da etwas kaputt ging. Seitdem hieß er in sämtlichen Kreuzberger Kneipen nur noch der Eineiige. Das stimmte ihn nicht eben versöhnlicher.

Als der Zapfer vom Orpheus die Tür aufstieß, saßen sie an der Bar wie die Daltons, mit den Rücken zur Tür, und sahen den nahenden Feind nicht. Aber Seifert sah ihn. Er grinste kurz, zog die Eisenstange hervor und schlug zu. Das Blut, so berichtete ein Zeuge, soll wie aus einem Springbrunnen hervorgesprudelt sein. Von einer Eisenstange allerdings hatte später beim Verhör niemand etwas gesehen.

Nach diesem Ereignis waren die Hilliges-Brüder für eine Weile verschwunden. Ein Mal noch tauchte der Eineiige auf, spät in der Nacht, und wollte ein Taxi nach Rotterdam. Er war auffällig kleinlaut. Später erzählte man, er sei auf der Flucht gewesen. Jedenfalls sah man ihn in Kreuzberg nie wieder. Und die andern Brüder auch nicht. •


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