Kreuzberger Chronik
November 2018 - Ausgabe 204

Hausverbot

Der Münzberg


linie

von Hans W. Korfmann

1pixgif
Dem Oberkellner im Italo am Marheinekeplatz macht niemand etwas vor. Zum einen ist der Mann mit dem weißen Hemd und der schwarzen Schürze ein echter halber Italiener und kennt alle Tricks in der Gastronomie, zum anderen ist er einen Kopf größer als der Durchschnitt seiner Gäste und besitzt eine Statur, die dem Gegenüber Respekt abverlangt. Er muss nicht erst laut werden, um einen Gast zurechtzuweisen, er kann flüstern, manchmal reicht es, den Gast kurz anzuschauen, und er steht auf und geht.

Das hat er in Potsdam gelernt, »das war ein richtig teurer Laden. Und wenn ich sage richtig teuer, dann meine ich richtig teuer, Flaschen für nen Tausender.« Dementsprechend waren auch die Gäste: Promis, Politiker, Neureiche, »lauter Leute mit schlechten Manieren«, die ins Handy brüllen. »Und wenn du dann dezent an den Tisch trittst und sie bittest, leiser zu sein, dann sagen die: Du hast mir hier überhaupt nichts zu sagen!« Bei solchen Gästen wartete der halbe Italiener ab, bis sie bezahlt hatten, begleitete sie mit freundlichem Lächeln zur Tür und sagte: »Übrigens: Sie haben ab jetzt Hausverbot!«

Einmal aber, am Marheinekeplatz, musste er laut werden. Obwohl das Mütterchen, das da vor ihm stand und zeterte, drei Köpfe kleiner war. Es stand, in ein buntes Kopftuch und bunte, weite Röcke gewickelt, die von früh bis spät in der Bergmannstraße, um die Leute um Kleingeld anzubetteln. Wer großzügig war, erhielt ein knappes Danke zur Belohnung, wer zu wenig gab, einen verächtlichen Blick, und wer gar nichts gab, erntete Flüche.

An diesem Abend hatte sie beschlossen, ihre Einnahmen im Italo auszugeben. Sie legte einen Haufen Münzen auf den Tisch, bestellte Whisky-Cola und bat den Oberkellner, den entsprechenden Betrag von ihrem Münzberg abzuheben. »Aber ne Rechnung wollte sie. Hab ich ihr gebracht, und so ging das drei, vier Mal. Beim fünften Mal sagt sie, da hätte doppelt so viel Geld auf dem Tisch gelegen. Wo der Rest sei.«

Der Oberkellner hörte sich das nicht lange an und bat sie, das Lokal zu verlassen. Sie aber wollte ihr Geld zurück. Er zog sie am Ärmel hoch, »nur mit zwei Fingerspitzen«, aber sie hielt sich am Stuhl fest, dann am Regal, das an der Tür stand, eine Vase ging zu Bruch. Und dann begann sie, laut um Hilfe zu schreien. Gäste und Passanten beobachteten fasziniert den ungleichen Zweikampf.

In diesem Moment wurde der taktvolle Oberkellner laut und rief: »Du hast Hausverbot!« Er packte die kleine Frau am Ärmel, um sie vor die Tür zu ziehen. Sie ließ sich zu Boden fallen und schrie: »Polizei!«

Der Oberkellner ließ von ihr ab und ging zum Tresen. Einen Moment lang dachten die Zuschauer, das Mütterchen hätte gewonnen. Aber der Oberkellner wählte tatsächlich die Nummer der Polizei. Und das Mütterchen, das sich eben noch vor Schmerzen auf dem Boden gewälzt hatte, sprang auf und lief davon. Und kam nie wieder! •


zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg