Kreuzberger Chronik
November 2018 - Ausgabe 204

Geschäfte

Marla Records


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von Sybille Matuschek

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Ein Hauch Vergangenheit im Souterrain

Foto: Dieter Peters
Altkreuzberger stehen Neukreuzbergern skeptisch gegenüber. Besonders, wenn diese Neukreuzberger ein Geschäft eröffnen in Kreuzberg. Dann ärgern sie sich. Freuen tun sich die Alten nur, wenn sie noch etwas Altbekanntes entdecken. So etwas wie den Plattenladen Logo zum Beispiel, der nach zwanzig Jahren plötzlich aus der Bergmannstraße verschwand, dann aber in einem Souterrain der oberen Nostitzstraße wieder auftauchte. Ein Glück für alle alten Kreuzberger und alle Plattensammler.

Neugierig werden die Alten aber auch, wenn sie am anderen Ende der Nostitzstraße die drei Stufen bemerken, die in einen neuen Plattenladen zu führen scheinen, der genauso aussieht wie ein Plattenladen aus den Siebzigern: bemalte Wände und Türen, selbstgebasteltes Klingelschild, kein protziges Logo und keine teuren Werbemaßnahmen, die auch alles, was so ein Laden verkauft, teuer machen.

Wenn sie dann die drei Stufen hinuntersteigen, wissen sie zunächst nicht, ob sie in einem Café, einem Club oder vielleicht doch in einem Plattenladen sind. In der Mitte des Raumes stehen ein Tisch und zwei Stühle, auf dem Tresen, der aus einem halbierten und frisch lackierten Baumstamm besteht, eine Espressomaschine. Wenig später wundern sich die Besucher, dass nicht ein langhaariger, bärtiger, vielleicht schon etwas wortkarger Alt-Hippie in dem Halbdunkel auftaucht, sondern ein junger Südländer.

Ist das jetzt ein Plattenladen oder ein Café?, fragen sich die Alten. Dann murmeln sie, während der freundliche Südländer telefoniert, vor sich hin: Wieder so einer, der vom Papi einen Laden geschenkt bekommen hat! Und wenden sich dem Ausgang zu, allerdings nicht, ohne noch einen Blick auf die Platten zu werfen, die dort stehen. Und da fällt der Blick auf John McLaughlin: Guitar Heroes. 1976.

Wenn dann, einige Wochen später, ein John McLaughlin-Fan aus dem Freundeskreis Geburtstag hat, dann kann es sein, dass die alten Kreuzberger zurückkehren. Doch die Tür ist zu. »Post bitte in der Gneisenaustr. Nr. 9«, steht mit Kugelschreiber auf einem kleinen Zettel an der Wand. Ebenso wie »Eingang um die Ecke!« oder »Bin in zehn Minuten zurück.«

Die Kreuzberger folgen den Instruktionen, warten zehn Minuten und gehen dann um die Ecke in die Gneisenaustraße Nummer 9 und stehen vor einer Tür, die Seltenheitswert hat im frisch renovierten Kreuzberg: Kein Quadratzentimeter vom alten Anstrich ist noch sichtbar, selbst die kleinen Scheiben, die sich in der Tür befinden, um Licht in den Flur fallen zu lassen, sind mit Buchstaben und Grafitti derart übersät, dass kein Lichtstrahl mehr ins Haus fällt. Diese Tür hat das Potential, eines Tages als Exponat im Kreuzberg Museum zu landen - als Zeuge für die wilden Kreuzberger Jahre.

Gegenüber sitzen auf einer Bank drei Männer mit Bierflaschen. »Wissen Sie, wann der aufmacht?« – Die drei schütteln den Kopf wie in der Bierreklame im Fernsehen. »Der macht auf, wenn er Lust hat. Wahrscheinlich nicht vor zwölf! Steht da nix an der Wand?«

An der Wand, die von der bunten Tür bis zur Ecke an der Nostitzstraße einen anthrazitfarbenen Anstrich hat, reiht sich über den Kellerfenstern in einem langen Schriftzug Wort an Wort - jedoch keines über die Öffnungszeiten. Dort steht nur: Records - Fresh - Bio - Food - 905 - Vintage - Sportwear - Coffee... - Es fehlt nur noch der Frisör, die Arztpraxis, die Anwaltskanzlei und der Hundesalon. Ein Blick durch die Fenster aber verrät: Hier unten, das ist vor allem ein Klamottenladen mit Kaffeeausschank.

Die »Records« gibt es um die Ecke. Nachmittags jedenfalls. Dort steht dann wieder Oscar, der vermeintliche Südländer, der genau genommen ein Mexikaner ist. Oscar ist nicht nur Plattenverkäufer, sondern vor allem Gitarrist, DJ, Musikproduzent und Koch. Irgendwo in den Weiten der Karibik, im Kater Holzig, den es offensichtlich nicht nur in Berlin gibt, hat er eine Frau getroffen, die ihn faszinierte und die ihn mitnahm nach Berlin. Wo er eigentlich schon immer hin wollte. »Hier gibts die beste Musik der Welt! Wir sind nur der Musik wegen nach Berlin gekommen. Das mit dem Laden hat sich eben irgendwann so nebenbei ergeben.«

Geplant haben sie so ihren Laden nicht. Die Ecke gehörte einem Bekannten, und der suchte dringend einen Nachmieter. Und weil es günstig war, mieteten Oscar und sein deutscher Freund kurzentschlossen das Souterrain in der Nostitzstraße, um ein Café zu eröffnen oder Platten zu verkaufen. Sie bauten Regale ein, stellten zwei Plattenspieler auf und stöpselten Kopfhörer in die Buchsen. Schrieben mit Filzstiften »House«, »Techno«, »Electronika«, »Punk« auf die kleinen Kisten, - und sie ließen sogar noch eine kleine Ecke für Rock´n´Roll und Jazz frei.

Letztes Jahr kam dann der große Laden um die Ecke dazu, in der Gneisenaustraße, der ebenfalls dem Bekannten gehörte. Aber der war eigentlich viel zu groß für zwei Leute und für den Plattenladen. Deshalb sind sie jetzt fünf oder sieben, so genau lässt sich das nie sagen, lauter Musiker und DJs, Mexikaner, Spanier und ein Deutscher. Tagsüber stehen sie in ihren Läden, verkaufen Klamotten und Biosnacks an junge Touristen und Schallplatten an alte Kreuzberger. Nachts stehen sie dann aber in irgendeinem Club auf der Bühne in der Köpi oder am Schlesischen Tor und machen Musik. So kommen sie einigermaßen durchs Leben, und haben immer gute Laune.

Ok, sagen sich die Alten, und kaufen die Platte von John McLaughlin. Vielleicht sind die jungen Leute ja doch nicht so viel anders als die, die vor 30 Jahren hierherkamen. •

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