Kreuzberger Chronik
Februar 2018 - Ausgabe 196

Essen, Trinken, Rauchen

Zum Frosch


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von Horst Unsold

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Wer auf die Idee verfiel, das Schultheiss-Lokal mit Billardtisch und Aschenbechern und Preisskat und Dartscheibe Zum Frosch zu nennen, weiß keiner mehr. Die Vermutung liegt nahe, dass es eine Frau war, die ein Faible für die grünen Tiere hatte, aus denen hin und wieder Prinzen schlüpfen sollen. Früher jedenfalls war das Lokal gegenüber dem Willy-Brandt-Haus die Heimstatt Tausender Frösche aus Holz, Stoff und Porzellan: Es gab Frösche in Grün, in Blau und in Rot. Frösche mit Krone und ohne Krone. Frösche auf Leitern und in Gläsern. Nacktfrösche und Frösche in Anzügen. Heute stehen noch drei Exemplare im Fenster zwischen den Blumen, eine kleine Gruppe auf der Theke, und dann ist da noch das Regal beim Stammtisch. Prinzen sind keine hier.

»Nö, wenn er nich Guten Tag sagt, kriegt er nischt!«, sagt die Wirtin, die seit 15 Jahren das Bier und den Schnaps ausschenkt. »Aber det is doch son Minister oder so wat!«, meint der Stammgast mit dem rosaroten Gesicht und dem rosa-gestreiften Hemd. – »Det ist mir scheißejal!«, sagt die Wirtin. »Der is ooch nur´n Mensch!«

Ralf Stegner, der Ex-Finanzminister, ist mit freundlichem, aber viel zu kurzem Nicken geradewegs an der Wirtin vorübergegangen. Sie steckt sich eine Zigarette an, so ähnlich wie bei Mackie Messer, und sagt, laut genug, damit es auch jeder am Stammtisch hören kann: »Solln wa jetzt aufstehn, wenn so eener rinkommt, oder was.«

»Haste ooch wieder recht!«, sagt der Rosarote. »Vor der Pizza, da hielten mal zwei so ne schwarzen Mercedesse, in zweiter Reihe. Und wer steigt aus: Der blaue Klaus! Wenn ick nich hin wäre zu dem Chauffeur und dem die Meinung gesagt hätte, dann hätten die da geparkt, bis der Wowereit seine Pizza aufgegessen hätte. Vastehste?«

Fünf Minuten später sind Wowereit und der Minister vergessen. »Du hast im Billard gegen Heiko verloren? Das glaub ich nicht!« Kein Mensch zeigt Interesse am Stargast vom Stammtisch. Die Dartspieler mit ihren tätowierten Armen werfen schweigend ihre Pfeile durch den Raum, auf dem Billardtisch klacken die Kugeln aneinander, eine Herrenrunde spielt Skat, und am Tresen sprechen die Frauen leise über den Frauenmord in Moabit und über Prinzen. Alles in gesittetem Ton. Nur am Stammtisch lachen sie laut, wenn einer etwas sagt. Wie auf Kommando. Am lautesten lachen sie, wenn Stegner etwas sagt.

Im Regal mit den Fröschen stehen ein großer Breitmaulfrosch und einer mit einem roten Schal. Der eine erinnert an Willy Brandt, der andere an Walter Momper. Und auf dem Tresen an der Tür steht ein grauer, unscheinbarer Frosch aus Porzellan. Das könnte Stegner sein.

Diesmal, beim Hinausgehen, grüßt er freundlich. Doch es ist zu spät, die Wirtin nickt nur kurz und schweigend. Er ist schließlich auch nur ein Mensch - und kein als Frosch verkleideter Prinz. •



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