Kreuzberger Chronik
April 2018 - Ausgabe 198

Reportagen, Gespräche, Interviews

Lichter der Kleinstadt


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von Michael Unfried

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Reinhold Dienes hat sich Mühe gemacht. Unzählige Male ist er im Park gewesen und hat die Laternen inspiziert. Er hat eine komplette Bestandsaufnahme gemacht, sie akribisch kartographiert und festgehalten, wie viele es von jedem Typ gibt: 22 Fünfzigerjahre-Modelle mit den Schirmen über den Leuchten entlang der großen Wege; 3 aus den Dreißigerjahren und 6 erst wenige Jahre alte Nachbauten historischen Laternen. Außerdem hat er dokumentiert, wie viele dieser Lampen im vermeintlich schönsten Park Kreuzbergs, dessen Wasserfall schon früher eines der beliebtesten Postkartenmotive der Hauptstadt war und heute in keinem Reiseführer und auf keiner Kreuzberg-Homepage fehlt, noch leuchten: Keine!

Aufgefallen ist ihm das, als er feststellte, dass seine Frau von ihrer abendlichen Runde mit dem Hund immer früher nachhause kam. Weil sie nicht mehr durch den Park ging. Er war ihr zu dunkel geworden. Als das Ehepaar an den Viktoriapark zog, brannten die meisten Lampen noch, die Kinder rodelten im Licht der Parklaternen bis tief in die Nacht hinein. Aber vor etwa zehn Jahren ging das Licht aus. Die Lampen wurden abgestellt. Ebenso wie der Wasserfall. Lediglich die vier Straßenbeleuchtungen auf dem Weg zur bezirkseigenen Gärtnerei, deren Mitarbeiter auch im Winter morgens um 7 hier entlang müssen, blieben erhalten. »Und selbst das war ein Kampf!«, sagt Sylvia Staniszewski, die so genannte »Revierleiterin« des zuständigen Grünflächenamtes. Denn zuständig für das Licht in der Grünanlage ist nicht die Gärtnerei, auch wenn hier ständig die Bürger wegen der Parkbeleuchtung anfragen. Zuständig für das Licht ist das Hochbauamt. Wenn das Grünflächenamt eine Glühbirne braucht, muss es sich ans Hochbauamt wenden.

Also hat sich Reinhold Dienes noch mehr Mühe gemacht. Nicht ohne künstlerisches Talent hat der Mann, der einst für die Aufnahmeleitung der Pumuckl-Trickfilme verantwortlich war, ein Video mit den schönsten Ansichten aus dem Park zusammengestellt, mit sommerlichen Idyllen voller spielender Kinder, Jogger, Spaziergänger, Sonnenanbeter, dem Wasserfall und dem Denkmal über der Stadt. Am Ende eines schönen Tages aber geht auch hier die Sonne unter, und keine einzige Laterne leuchtet auf. Stattdessen tauchen im letzten Bild die zwinkernden Augenpaare finsterer Kobolde auf, die in den Büschen Spaziergängern auflauern. Und die letzten Worte in dem kleinen Streifen lauten: Irgendwann wird es - finster.

Gleichzeitig hat Dienes eine Unterschriftenaktion gestartet. In bescheidenem Rahmen. Nicht groß angelegt wie damals, zu Dutschkes Zeiten, als er mit einer Unterschriftenliste gegen den reaktionären Löffler protestierte, der nach Berlin an die FU kommen sollte. Schließlich geht es diesmal nur darum, Licht im Park anzuzünden. »Stimmen Sie mit Ihrer Unterschrift dafür, dass im nächsten Bezirkshaushalt ausreichend Etat vorgesehen wird, dass der Park wieder beleuchtet wird...« Ein bescheidenes Ziel. Weshalb Dienes die Listen auch nur rund um den Kreuzberg ausgelegt hat, »bei Willis Frisörsalon« in der Katzbachstraße, im Vereinszimmer in der Kreuzbergstraße, in einem Kindergarten in der Nähe – »an drei, vier Stellen.« Etwa 400 Unterschriften hat er zusammengetragen und »ist ein bisschen enttäuscht«.

Immerhin konnte er mit seinen Aktionen eine kleine Anfrage im Kreuzberger Rathaus erwirken. Als er der Nachbarschaftsplattform nebenan.de sein Video schickte, meldeten sich zwei FDP-Politiker und brachten das Thema auf die Tagesordnung in der Bezirksverordnetenversammlung. Die Geschichte war in fünf Minuten abgehakt, danach vertieften sich die Linken und die AFD eine halbe Stunde lang in eine Diskussion über eine vermeintliche Geschlechterdiskriminierung.

Die Frage, warum die 28 Laternen im Viktoriapark nicht mehr leuchten, hatte der zuständige Stadtrat Schmidt nicht ohne die übliche Arroganz des Politikers schnell beantwortet: »Ich würde ja sehr gerne diese Lampen wieder anzünden, Ihnen zuliebe....« – als wären Reinhold Dienes oder die FDP die einzigen, die gerne wieder Licht im Park sehen würden – aber eine »Instandsetzung sei fachlich und wirtschaftlich nicht mehr vertretbar.« Die Laternen seien, einschließlich der unterirdischen Leitungen, nicht mehr funktionsfähig. Mit anderen Worten: Zu teuer. Mit anderen Worten: Es soll auch künftig dunkel bleiben im Viktoriapark.

Postkarte von 1905, Die Wolfsschlucht
Foto: Privatarchiv
Hermann Mächtig, der den Park mit dem Wasserfall zu Ehren der Prinzessin Viktoria anlegte und schon in seinem Plan von 1888 Laternen neben den Bänken mit den verschnörkelten Armlehnen vorsah, die heute ausgemustert im Hof der Gärtnerei auf eine bessere Zukunft warten, würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, wie man mit seinem Erbe umgeht. Und wenn er die lieblos abgesägten Stümpfe der schmiedeeisernen Laternenpfähle am Wegrand sähe, die an notdürftige Kriegsamputationen erinnern, würde er vielleicht noch einmal leibhaftig herauskriechen aus seiner Gruft im fernen Friedrichsfelde. Auch die Imperial-Continental-Gas-Association, die bereits 1826 die ersten Laternen Unter den Linden anzündete, »um die öffentliche Ordnung in Berlins nächtlichen Straßen wiederherzustellen«, würde kein Verständnis dafür aufbringen, wie man mit den großen Errungenschaften der Zivilisation so achtlos umgehen kann, die nach Jahrtausenden der Finsternis und qualmender Öllampen den Zauber der Gasleuchten und des elektrischen Lichts in die Welt brachten.

»Ich erinnere mich noch deutlich«, erzählt Reinhold Dienes, »wie ich zum ersten Mal an diesen Park kam und völlig überrascht diesen großen Wasserfall mitten in der Stadt sah. 1971, als ich in die Zossener Straße zog. Ich bin bis zur Quelle geklettert und stand dann da oben auf diesem kleinen Plateau, als plötzlich die Scheinwerfer angingen, die ganze Großbeerenstraße muss mich da stehen gesehen haben. Es war 18 Uhr, da ging das Licht an!«

Doch was 1826 und 1971 noch möglich war, ist 2018 unmöglich. Die Stadt, die nach eigenen Angaben so viel Geld in den Kassen hat wie die letzten zwanzig Jahre nicht mehr, hat kein Geld, um die Laternen anzuzünden. Und so verkommt er allmählich, der schönste Park Kreuzbergs. Seinem Wasserfall drehte man das Wasser ab, den Laternen das Licht, der Teich ist verschlammt, die Volieren sind leer, die Mülleimer werden rationiert wie einst die Butter, und die Wiesen sind mit Glasscherben bespickt. Und wo es einmal öffentliche Toiletten gab, muss sich der Mensch nun wieder in die Büsche schlagen wie im 17. Jahrhundert. Dem Fortschritt sei Dank. Dem Fortschritt und dem Erfolg von Wall und Vattenfall und all den anderen Privatunternehmen, die niemandem als sich selbst verpflichtet sind.

»Ich meine: Wenn ich ein Haus habe, einen Garten, dann kümmere ich mich doch darum, dass das erhalten bleibt, dass der Garten nicht zur Wildnis verkommt!«, sagt Dienes. Vor einigen Jahren sah es dann so aus, als hätten das endlich auch die Verantwortlichen des Bezirks eingesehen. Sie machten sich daran, den kleinen Platz und die einsturzgefährdeten historischen Parkmauern an der Ecke der Kreuzbergstraße zur Katzbachstraße zu restaurieren. Visionen von einem Café und der Wiedereröffnung der öffentlichen Toiletten machten die Runde. Tatsächlich wurden neue Bänke aufgestellt und neue Lampen mit LED-Leuchten installiert. Es sah so aus, als ginge ein neues Licht auf im Viktoriapark. Aber nach wenigen Wochen war alles vorüber, inzwischen fehlen auch die LED-Birnen schon wieder. Es wird dunkel bleiben in einer der schönsten Parkanlagen Berlins, dem Viertel mit den längsten Nächten.

Dienes ärgert sich nicht darüber, aber er ist enttäuscht. »Ich war selbst mal bei den Grünen!«, aber der grüne Stadtrat Schmidt gibt kaum Anlass zur Hoffnung. Auf die Frage, ob denn das Bezirksamt, wenn denn eventuell einmal Mittel zur Verfügung stünden, überhaupt beabsichtige, »die abgesägten historischen Parklaternen wieder herzustellen«, antwortete Schmidt laut Protokoll: »Es ist bedauerlicherweise so, dass hier nichts dergleichen in Planung ist.«

Vielleicht, bemerkte am 8. November ein Abgeordneter auf der Bezirksverordnetenversammlung, scheitere das Ganze schon im Vorhinein am bürokratischen Aufwand. Es wäre vielleicht erstrebenswert, fügte der Redner nicht ohne Ironie hinzu, Reparaturen von Straßen- und Parkbeleuchtungen vornehmen zu können, »ohne dass wir zu jeder Glühbirne gleich einen Antrag oder eine Anfrage brauchen.«

Auch Dienes gibt nicht auf. Er ist stur wie der Pumuckl. Schon im Februar hat er sein kleines Video an die Bezirksbürgermeisterin von Kreuzberg geschickt. Leider hat sie sich das kleine Kunstwerk noch immer nicht angesehen. Vielleicht hätte es etwas Licht in die Monotonie des politischen Alltags gebracht. « •


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