Kreuzberger Chronik
Oktober 2015 - Ausgabe 173

Geschäfte

Modern Times


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von Guido Schirmmeyer

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Gerry Mohan handelt mit alten Möbeln aus modernen Zeiten. Für die jungen Berliner sind die Siebziger schon antik.

Die Blücherstraße ist kein Boulevard, eher so etwas wie die kleine Bronx vom Südstern. Ladenleerstand und heruntergekommene Fassaden sorgen für ein tristes Straßenbild. Noch vor zehn Jahren allerdings reihte sich auf der kurzen Strecke zwischen Südstern und Baerwaldstraße, in der einst schon Kurt Mühlenhaupt residierte, Trödler an Trödler. Heute ist Gerry Mohan, ein gebürtiger Ire und seit dreißig Jahren ein echter Kreuzberger, mit seinem modern times der Gralshüter der Trödler-Zunft.

Sein Laden, vollgepackt bis unter die Decke, wirkt wie ein Trödelladen aus alten Zeiten, doch im beabsichtigten Chaos verbergen sich Klassiker des Möbeldesigns wie die Regalsysteme von Kai Kristiansen. Das Drunter und Drüber ist kein Zufall, sondern Programm. Ordentlich aufgeräumte Auslagen gibt es nach Mohans Meinung schon genug im neuen Berlin, das überlässt er gern der Konkurrenz. Dafür gibt es bei ihm - so wie beim Discounter - gute Stücke etwas günstiger. Das spricht sich natürlich herum in Kreuzberg.

Es war vor allem die günstige Miete, die Mohan vor ein paar Jahren in das Haus mit der Nummer 40 gelockt hat. Mit viel Energie und einigem Zeitaufwand hat er dann aus zwei ruinierten Läden ein Geschäft mit ausgewählten Möbeln gemacht, das sich bei den »mid century modern«-Liebhabern inzwischen wachsender Beliebtheit erfreut. Der Begriff »mid century modern« kursiert schon seit den Dreißigerjahren, Mohan selbst aber will ihn vor zehn Jahren in Deutschland bekannt gemacht haben.

Allen Unkenrufen zum Trotz, die Mohan vor der abseitigen Lage warnten, hat er mit seiner in Jahrzehnten allmählich gewachsenen Erfahrung aus der Nummer 40 eine Adresse für ausgefallene Möbel gemacht, insbesondere für die nordisch sachlichen Möbelkreationen dänischer Möbeldesigner. Wer tief genug in Mohans scheinbarem Gerümpel gräbt, stößt wie in einer Goldmine auf Metall-Lampen von Poul Henningsen oder auf ein brasilianisches grünes Ledersofa von Percival Lafer. Das ist Kolonialstil vom Feinsten. Auch eine Couch von Grete Jalk steht wie Sperrmüll unter einer italienischen Artemide-Lampe, daneben hängt ein Kronleuchter von Gino Sarfatti.

Es ist Herbst in der windigen Blücherstraße. Nach der Flaute des heißen Sommers kommt schlagartig die Hochsaison. »Gerry Mohans one-man-Möbel-Schau« wird zum Full-Time-Job. Tag für Tag, Woche für Woche grast er Flohmärkte und Auktionen ab, um seinen Laden mit neuer Ware zu beleben. Möbel rangieren und restaurieren, Stühle an Wände hängen, schwere Sofas auf Eisenregalen stapeln… hundert Quadratmeter »modern times« sind eine harte Arbeit. Aber immer noch besser als die vergangenen Zeiten am Fließband, in denen sich der Ire nach dem Philosophie-Studium als Tagelöhner mit zwanzig verschiedenen Jobs über Wasser halten musste. In der Blücherstraße ist Mohan wenigstens sein eigener Herr.

Obwohl das jugendliche James-Bond-Hütchen, Gerry Mohans Markenzeichen, irgendwie auch an Chaplin erinnert, hat der Trödler seinen Geschäftsnamen nicht vom Chaplin-Film übernommen. Er »wollte etwas Eingängiges«, und »modern times« passte. Unter Berlins neuen Zuwanderern stößt Mohan auf regen Zuspruch, so manche Kreuzköllner Szene-Kneipe hat der Trödler aus der Blücherstraße schon bestuhlt. Die ochsenblutfarbenen, wuchtigen englischen Chesterfield-Sofas sind ein Renner in vielen Bars, mit ihnen konnte Mohan gleich durchstarten.

»Leider gibt es jetzt kaum noch Chesterfields«, meint Mohan und peilt deshalb eine neue Ware an, mit der er vielleicht noch einmal einen neuen Trend setzen könnte: »brutalistische Möbel« . Mohan grinst, er weiß, dass die Vokabel nichts mit »Brutalität« zu tun hat, sondern einen Möbelstil der Sechziger- und Siebzigerjahre bezeichnet.

Mohan versteht etwas von Möbeln. Kürzlich erhielt er den Auftrag einer Gruppe junger Psychotherapeuten, die in der Hobrechtstraße unter dem Namen stillpointplaces in diversen Sprachen therapieren und Kreuzköllns zugewanderte Klientel in einer Fabriketage auf die Couch legt. Gerry Mohan fungierte als »Interior Designer« und lieferte das Therapie-Meublement.

Auch wenn Mohan mit modernen Zeiten wirbt, erzählen viele seiner Möbel noch die alten Geschichten: Zum Beispiel das ramponierte cognacfarbene Sofa mit den zerschlissenen Ledersitzen, das er diesen Sommer im Forsthaus am Teufelssee ergatterte. Es stammt aus dem Gästehaus des Bundeskanzleramtes in Bad Godesberg, in dem schon Kennedy und Gorbatschow zu Gast waren.

Foto: Privat
Der Antiquitätenhändler studiert die politische WeltlageEr hätte gern mehr solcher geschichtsträchtigen Möbel. Gerry Mohan schwebt ohnehin eigentlich eher so etwas wie ein politischer Möbelladen vor mit Bibliothek und Filmabenden und Gesprächen, die er sonst nach Ladenschluss in seiner Stammkneipe, dem Turandot, mit seinem Antiquariats-Freund Wilhelm führt. Angesichts der politischen Weltlage, zu der Mohan unermüdlich Hintergrundinformationen im Internet recherchiert, schwillt dem Noam-Chomsky-Verehrer der Kamm. Groß ist seine Wut im Bauch. Trotzdem kommt ihm hin und wieder ein Lächeln über die Lippen. Kürzlich zum Beispiel, als er seine ersten vier brutalistischen Lampen verkauft hat.






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