Kreuzberger Chronik
November 2015 - Ausgabe 174

Geschichten & Geschichte

Die Tempelhofer Fehde


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von Werner von Westhafen

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Vor dem alten Köpenicker Tor kämpften vor sehr vielen Jahren die Johannitererbittert gegen die Berliner.

Glaubt man den alten Chronisten, so war es ein strahlender Herbsttag, als ein Bote auf seinem Pferd über den Schafgraben setzte und am Kreuzberg vorbei in Richtung Süden sprengte. Der Reiter aus Berlin hatte in seiner Satteltasche eine Botschaft für Nickel von Colditz, den Chef des Ordensdorfes Tempelhof. Die Nachricht, die er überbrachte, beendete einige Tage später einen alten Streit zwischen Berlin und den Dörfern im Süden.

Berlin und Cölln, die beinahe schon zusammengewachsenen Städtchen an der Spree, waren noch unbedeutend und mussten ihre Grenzen gegen verschiedenste Feinde verteidigen. Vor allem im Süden, wo der Schafgraben die Grenze der Gemarkung Teltow markierte, gab es ständig Ärger. Hinter dem Schafgraben, der damals nicht mehr als ein sumpfiger Bach zwischen morastigen Feldern war und erst viel später zum Landwehrkanal ausgebaut wurde, begann ein fremdes und wildes Land. Seit dem frühen 13. Jahrhundert wurde es von den Tempelrittern beherrscht, die südlich des Schafgrabens die Ordensdörfer Tempelhof, Mariendorf, Marienfelde und Rixdorf gegründet hatten und nicht bereit waren, sich weltlichen Herrschern wie Fürsten, Königen oder Kaisern zu unterwerfen. Sie lebten nach ihren eigenen Regeln. Und als der Ritter Jacobus von Nybede 1290 den Franziskanern in Berlin die »tygelschüne, dy de lyt twuschen Tempelhoffe und Berlin« schenkte - also jene berühmte Ziegelscheune und Brennerei am Fuße des lehmigen Kreuzbergs, in der später die Ziegel für das Graue Kloster gebrannt wurden (vgl. Kreuzberger Nr. 166) - war das keine Geste der Freundschaft zwischen Berlin und den Rittern. Zumal Jacobus von Nybede gar kein echter Tempelritter war.

Um die wilden Dörfer im Süden Berlins unter Kontrolle zu bekommen, löste Papst Clemens V. auf Druck des französischen Königs, der die Templer verschiedener Überfälle bezichtigt hatte, den christlichen Orden am 22. März 1312 wieder auf. Die Ritter versuchten, ihr Eigentum zu verteidigen, doch am Ende konnten sie gerade noch ihr Leben retten. 1318 wurden sämtliche Güter, unter ihnen auch die vier Ordensgemeinden, an die Johanniter übergeben.

Glaubt man den Chronisten, machten auch die Johanniter den Berlinern das Leben schwer. »Streitsüchtig und auf Besitz erpicht waren die Ordensherren keine angenehme Nachbarschaft für die beiden Städte« , zumal sie, genau wie die anderen »Zaunjunker und Schnapphähne« , die sich im wilden Süden der Mark in »festen Burgen« verschanzten, »kein anderes Recht als das Faustrecht gelten ließen.«

Immer wieder kam es am Schafgraben zu kleinen Streitereien, bis die Berliner an jenem schönen Herbsttag des Jahres 1435 ihr Erntefest begingen und in einem feierlichen Zug nach alter germanischer Sitte die Grenzen der Gemarkung abgingen. Etwa dort, wo später das Hallesche Tor in die Stadtmauer gelassen wurde, stutzte der feierliche Zug. Vergeblich suchte man nach dem Grenzstein, der den Besitz der Johanniter von dem der Berliner trennte. »Endlich entdeckte man ihn, weit im Felde nahe der Stadtmauer zu. Offensichtlich hatten die Ritter hier eine Grenzregulierung zu ihren Gunsten vorgenommen. Da flammte der Zorn der Berliner auf. Mit vereinten Kräften wurde der Stein an die alte Stelle gewälzt« , ein Protestschreiben an den Komtur Nickel von Colditz verfasst und ein Bote auf die Reise geschickt.

Das digitale Nachschlagewerk Wikipedia vermutet heute, dass es die Berliner waren, die »eigenmächtig Grenzsteine versetzt« hätten. Tatsache ist, dass der reitende Bote um sein Leben fürchten musste, als er »unbewegten Gesichts unter seiner eisernen Sturmhaube« den Wutausbruch des lesenden Komturs verfolgte, der ihm sofort den Fehdehandschuh vor die Füße warf. In gestrecktem Galopp soll der Bote auf dem Rückweg den Schafgraben übersprungen haben.

Wenige Tage später näherte sich der verärgerte Nickel von Colditz den Stadttoren Berlins, flankiert von 300 Staub aufwirbelnden Rittern, einer Schar von Söldnern und dem gesamten Fußvolk seiner vier Dörfer, um die Doppelstadt an der Spree endgültig zu unterwerfen.
Als er eintraf, waren die Tore der Stadt längst geschlossen, die Glocken von St. Petri, Nicolai und Marien läuteten Sturm, »die Bürger eilten waffenstarrend auf die Mauern« . Die Angreifer ritten die südliche Stadtmauer entlang bis zum Köpenicker Tor, das als einziges Stadttor noch keinen Wehrturm besaß und die schwächste Stelle im Verteidigungswall war. Doch die Johanniter wurden »derart mit Pfeilen und Steinen überschüttet, daß sie sich eiligst zurückzogen« - nicht ohne von der gesamten Berliner Reiterei verfolgt zu werden, die durch eines der Stadttore im Norden unbemerkt ausgerückt war und nun den fliehenden Feinden in den Rücken fiel.

Die Berliner setzten den Johannitern »mit Schwertern, Steinkolben und Hellebarden« bis hinter den Schafgraben nach und lieferten ihnen bis zum Sonnenuntergang eine blutige Schlacht. Geschlagen zogen sich die Ritter im Schutz der Dunkelheit nach Tempelhof zurück.

Die Kämpfe, die am heutigen Lausitzer Platz begannen und am heutigen Landwehrkanal endeten, gingen als »Tempelhofer Fehde« in die Geschichtsbücher ein und führten schon am 23. September 1435 zu einem Vertrag, in dem die Besitztümer der Johanniter einschließlich der Dörfer Tempelhof, Mariendorf, Marienfelde und Rixdorf für die erstaunlich hohe Summe von 2.440 Schock Prager Groschen an die Stadt an der Spree verkauft wurden. Es scheint, als wäre den Berlinern und den Cöllnern der Frieden mit den Nachbarn einiges wert gewesen. Auch die Johanniter werden mit diesem Geschäft zufrieden gewesen sein, aus dessen Erlös sie endlich das Schloss, die Stadt und das lang ersehnte Land Schwiebus kaufen konnten.

Literaturnachweis: Kreuzberg-Revue, 1953.




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