Kreuzberger Chronik
November 2015 - Ausgabe 174

Geschäfte

Anna und Larson


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von Saskia Vogel

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Puppen, Kinderschuhe, Kleider und Holzspielzeug lassen Elternherzen im Graefekiez höher schlagen.

In der Ecke liegen Filzpantoffeln und Socken. Es riecht nach Wolle und auch ein bisschen nach nassem Leder in diesem Laden, der eher an ein Kinderzimmer erinnert als an ein Geschäft. Die Regale sind voll gestopft mit Wollpullovern, Schals und Hosen, die Spielsachen so abgegriffen, als hätte schon der Großvater damit gespielt. An den Wänden hängen Bilder, und in den hölzernen Kisten liegen hölzerne Bauklötze. Alles sieht so aus, als könne das Kind jetzt aufstehen, sich anziehen und sofort zu spielen beginnen. Oder als fiele gleich eine Kitahorde verwöhnter Kreuzberger Wohlstandskinder ein.

Foto: Dieter Peters
Der kleine Laden in einem der letzten unrenovierten Häuser im Szenekiez heißt »Anna och Larson« . Die besitzer vielleicht auch. Das »och« - man ahnt es - bedeutet »und« , aber das germanische Bindewort war den Besitzern der Schweden-Idylle womöglich zu unromantisch. Bei Anna oooch Larson muss alles niedlich sein, auch wenn das Pärchen im Grunde nur ein Gebrauchtwarenhändler ist. Anna und Larson kaufen und verkaufen, es gibt Kunden, die tragen Plastiktüten voller Aussortiertem hinein, so wie es Kunden gibt, die mit Rucksäcken voller Kinderkleider wieder herauskommen. Sowohl Verkäufer wie Käufer diskutieren viel mit Anna und Larson, zum Beispiel über die fehlenden Türen beim Holz-Bauernhof, oder über den Verkaufswert einer teuren Finkid-Jacke. Auf jeden Fall über Geld. Bei Trödlern wird schließlich gehandelt. Aber der schwedische Verkäufer sagt nur: »Hmmm!«

Es ist elf Uhr morgens, Mütter und Väter mit Säuglingen im Tragetuch kommen herein. Sie brauchen Kinderbücher, Schuhe für den Winter, ein Mützchen oder ein Püppchen. Vollbusige Barbies und Vollidiotenstofftiere wie Bob der Schwammkopf gibt es bei Anna und Larson natürlich nicht. Plastik passt nicht in die schwedische Idylle von Bullerbü, in der Graefestraße ist alles hölzern und alternativ. In der Graefestraße ist die Welt noch in Ordnung. Trotzdem fühlen sich die Eltern, die ihren Nachwuchs gerade in der Kita »Der kleine Horrorladen« abgegeben haben, manchmal wie in einem Kaurismäki-Film. Denn während die Kinder von Bullerbü ständig quasseln und mit ihren kleinen Streichen sogar Erwachsene zum Lachen bringen, herrscht bei Anna und Larson eine dramatisch-skandinavische Stille.

„Sie haben wirklich schöne Sachen!« , lobt eine junge Mutter den Verkäufer, der gerade dabei ist, die Kinderwagen vor die Tür zu stellen. »Hmm, ja« , grummelt der Mann. Dann murmelt er »Ja« , es sei schon offen, man könne sich umschauen und helfen würde er auch. »Hmmm.«

Das Umsehen lohnt sich. Es gibt gebrauchte Hörspielkassetten von Astrid Lindgren, die noch richtig in einen Rekorder eingelegt und umgedreht werden müssen, die »Klick« machen und mit einem Klebestreifen wieder repariert werden können, wenn sie gerissen sind. Es gibt, von der großen LEGO-Ritterburg einmal abgesehen, viel Spielzeug aus Holz, und ganz weit oben im Regal stehen sogar noch einige nostalgische Liebhaberstücke für nostalgische Väter. So wie dieser Puppenwagen aus den 1960er Jahren, mit dem schon die Großmutter durch die schwedische Landschaft gerollt sein könnte.

Foto: Dieter Peters
Die Kinderbücher vom Kater Findus und den Kindern von Bullerbü scheinen so etwas wie die Kataloge des Kindertrödels zu sein: Neben den Büchern stehen die Ledersandalen der Bullerbü-Kinder in Natura, da hängen ein lederner Schulranzen, eine Lederhose und ein Kleidchen in tiefem Erdbeerrot - statt im modisch-blassen »Hello-Kitty-Rosa« . Schließlich müssen die Mädchen vom Graefekiez nicht schon im Vorschulalter wie Germany´s Next Topmodel aussehen. Die Mädchen im Graefekiez sollen niedlich aussehen, mit Sommerkleidchen und Blütenkranz im Haar, eben genau so wie Anna oder Larson.

Oder zumindest so, wie Anna und Larson aussahen, als sie einmal klein waren. Denn wenn sie erst einmal ausgewachsen sind, dann sind auch die Kinder von Bullerbü manchmal so muffelig wie der alte Schuster Nett. Der Verkäufer, der vielleicht Larson heißt, hat die Fahrräder und die Kinderwagen inzwischen auf die Straße gestellt. Eine engagierte Mutter versucht Larson gerade in ein wissenschaftliches Gespräch zu verwickeln. Sie müsse einen Schlafsack für ihren Kleinen kaufen, aber nachts würde er immer so schwitzen. Sie legt ein Exemplar aus Ökobaumwolle auf den Ladentresen. Die Ökomutter hat sich längst für den Kauf entschieden, alles was sie jetzt noch möchte, ist ein kleines bisschen Anerkennung für ihre Muttersorgen. Der Schwede aber nickt nur stumm. »Schwitzen soll für Baby´s Gesundheit ja gefährlich sein« , versucht die Mutter, dem Schweden auf die Sprünge zu helfen. Doch der zeigt kaum Interesse für das Problem der Mutter und des Baby´s, und obwohl der Kauf des neuen Schlafsacks vielleicht der Höhepunkt der Woche für die junge Frau ist, bringt der alte Schwede wieder nur ein »Hmmm« heraus.



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