Kreuzberger Chronik
Februar 2015 - Ausgabe 166

Strassen, Häuser, Höfe

Die Hasenheide 14 und 15


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von Edith Siepmann

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Der vor einem Vierteljahrhundert die Hasenheide in Richtung Hermannplatz entlang schlenderte, kam an einem geradezu mythischen Ort aus dem 19. Jahrhundert vorbei: An der Hasenheide Nummer 14 & 15, genau gegenüber der Neuen Welt, lag das riesige Etablissement von Kliems Festsälen mit seinem pompösen Hauptsaal und dem dahinter gelegenen kleineren Raum für Cabaret und Tanz. Noch in den Sechzigerjahren wurde hier Bier ausgeschenkt.

Doch es war nicht immer nur lustig in den Festsälen an der Hasenheide. Schon 1928 tobten in den Sälen regelrechte Saalschlachten zwischen Kommunisten und Nazis, 1929 lag sogar ein Toter zwischen den Tischen und Stühlen. Im I. Weltkrieg boten die Tanzsäle verwundeten und verstümmelten Soldaten Gelegenheit, den Umgang mit hölzernen Gliedmaßen zu üben und in den Augen von Krankenschwestern den Dank des Vaterlandes aufzuspüren.

Heartfield und Grosz
Wenige Wochen nach dem Ende dieses Krieges kam der junge Schauspieler und Regie-Aspirant Erwin Piscator, später einer der bedeutendsten Theaterregisseure des 20. Jahrhunderts, nach Berlin. Schnell befreundete er sich mit Wieland Herzfelde, John Heartfield, George Grosz und Walter Mehring und unterstützte sie am Theater Tribüne bei den Veranstaltungen der Berliner Dadaisten. »Einst war ich Dadaist«, schrieb er rückblickend, »wir begruben die Kunst, und George Grosz tanzte Step auf dem Sarg, in dem die tote Kunst lag.«

Die traumatisierenden Erfahrungen des Krieges und des Blutbades, das die SPD 1919 in Berliner Arbeiterbezirken anrichtete, ließen das höhnische Lachen Dadas allerdings schon bald als harmlosen Schabernack erscheinen. »Voll von den Erinnerungen, die hinter uns lagen, enttäuscht in unseren Hoffnungen vom Leben, sahen wir die Rettung der Welt nur in der äußersten Konsequenz: organisierter Kampf des Proletariats, Ergreifung der Macht. Diktatur. Weltrevolution.« Noch während des Gründungsparteitages der KPD Ende Dezember 1918 waren die vier Freunde der kommunistischen Partei beigetreten.

Wie aber sollte ein Theatermann der Weltrevolution auf die Beine helfen? Wie konnte der Graben zwischen der Arbeiterklasse und der klassischen Bühne zugeschüttet werden? Die Theater der feinen Gesellschaft waren dem Proletariat unzugänglich. Also musste das Theater in die Vergnügungslokale des Proletariats verlegt werden. Im Oktober 1920 eröffnete Piscator, unterstützt von George Grosz und John Heartfield, in Kliems Festsälen das »Proletarische Theater«, die »Bühne der revolutionären Arbeiter Groß-Berlins«.

Doch nicht nur die Spielstätten mussten gewechselt werden, auch das Programm musste geändert werden. Das Proletarische Theater war kein »Theater, das Proletariern Kunst vermitteln wollte,« erinnert sich der Regisseur, es handelte sich um bewusste Propaganda. Es war kein Theater für das Proletariat, sondern ein Proletarisches Theater. »Wir verbannten das Wort ‚Kunst‘ radikal aus unserem Programm, unsere ‚Stücke‘ waren Aufrufe, mit denen wir in das aktuelle Geschehen eingreifen und Politik treiben wollten.«

Kliems Festsäle
Zugunsten der Mobilität wurden Dekorationen und Kostüme auf ein Mindestmaß reduziert. Zwischen den Bühnenarbeitern, der Leitung, den Darstellern, Dekorateuren und den übrigen technisch und geschäftlich Angestellten sollte es keinerlei Hierarchie mehr geben. Das Theater wurde zu einer Art Produktionskommune, auch die Texte wurden kollektiv erarbeitet, die Einzelheiten der Inszenierung gemeinsam diskutiert. Als Schauspieler agierten in der Regel Laien, die zu Gunsten der Revolution auf die Gagen verzichteten.

Die Regeln des klassischen Dramas – die übliche Einheit von Ort und Zeit - wurden beiseite geschoben. Es wurde aber auch kein Illusionstheater aufgeführt und keine Geschichte mehr erzählt, der die Zuschauer mehr oder minder interessiert hätten folgen können. Stattdessen bestanden die Stücke der Dadaisten aus locker aneinander gereihten Szenen, in denen das Weltkapital und die Revolution auftraten und das Publikum nicht selten zur Erstürmung der Bühne animiert wurde.

Der KPD allerdings passte dieses ganze Theater überhaupt nicht ins Konzept. Die Kritikerin des Zentralorgans »Rote Fahne« wetterte: »Kunst ist eine zu heilige Sache, als daß sie ihren Namen für Propagandamachwerk hergeben dürfte! (...) Was der Arbeiter heute braucht, ist eine starke Kunst. (...) Solche Kunst kann auch bürgerlichen Ursprungs sein, nur sei es Kunst!«

Ähnlich verärgert, wenn auch aus ganz anderen Gründen, gab sich Berlins Polizeipräsident, der der Bühne im April 1921 die Dauerkonzession versagte. Das Tollhaus Deutschland sollte nicht noch von Kreuzberg aus zusätzlich angeheizt werden. Piscator eröffnet daraufhin sein Central-Theater in der Alten Jakobstraße.

Heute sind Kliems Festsäle nicht mehr auffindbar. Ein schier endloser grauer Kasten ist an die Stelle von Kliems Salon und seinernNachbarbauten getreten. Wo einst Clowns, Artisten, Feuerschlucker und Zauberkünstler die Berliner fesselten, wo getanzt und gefeiert wurde, wo die Dadaisten einen weiteren Versuch starteten, die Welt zu verändern, residiert heute die Deutsche Rentenversicherung.•

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