Kreuzberger Chronik
März 2014 - Ausgabe 156

Geschäfte

Plaste & Elaste


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von Saskia Vogel

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In der Bergmannstraße mehren sich die Cafes, Läden werden seltener. Die ältesten stellen wir in den nächsten Heften vor. #

Das Mephisto-Jacket
war ein legendäres Stück. Eine Kreuzbergerin erinnert sich: Vor Jahren hätten sie im Freundeskreis zusammengelegt, um einem Kumpel einen Gutschein für Plaste & Elaste zu schenken. »Damals entdeckten wir den KitKatClub oder das Culture Houze am Görli für uns – und wir brauchten dringend ein hedonistisches Outfit für unseren Freund.« Bei Plaste & Elaste fand er dann »seine« Vampir-Jacke – ein Samt-Jacket mit Ärmeln, geschnitten wie die Blutsauger-Flügel. Perfekt! Das Jacket wurde getragen, bis es nach unzähligen Tête-à-têtes auf schäbigen Nachtclub-Toiletten völlig zerfleddert war. Und der Kumpel hatte seinen Spitznamen weg: Mephisto. Die legendäre Jacke verstaubt bis heute in seiner Erinnerungskiste, gleich neben einem Mantel aus »Porno«-Polyamid.

Plaste & Elaste ist der älteste Gothic-Shop Europas. Selbst in London gibt es keinen betagteren. KitKat-Partygänger sind Stammkunden, Heavy-Metal-Fans und BDSM-ler finden ihren Weg in den weinroten Kellerladen in der Bergmannstraße. »Sklavinnen kommen auf der Suche nach einem passenden Korsett gerne in der Bergmann vorbei.«, erzählt Jan-Eric Zachrau, »Und natürlich die Goths. Die pudern sich ja heutzutage nicht mehr weiß, sondern machen einen auf edel.« Wer sich hier einkleidet, ist die »Königin der Nacht!«. Fenn statt billiger Massenware gibt es in der Bergmannstraße die Original-Mode bekannter Independent-Labels wie Queen of Darkness und Masken mit echten Swarovski-Steinen neben dem Krankenschwesterkittel aus Lack. »Aber mit Peitschen und so, das machen wir nicht.« Im Angebot sind Petticoat-Kleider und Rockabilly-Karos. Zachrau hat den Laden »vor über 30 Jahren, glaube ich,« gegründet, »1983 oder so« – er müsste tatsächlich nachschlagen. Zachrau ist hier geboren, schon die Mutter hatte einen »Trödelladen im Kiez«. Zachrau zog während des »Second-Hand-Booms« in das Souterrain, Punk war angesagt, »die Sex Pistols und so, da musste so ein Laden einfach her.«

Heute ist Plaste & Elaste der »letzte alte Hase in der Branche.« Viele Darkfashion-Läden haben wieder zugemacht, das Geschäft findet online statt. Denise steht dem Ex-Punk seit 20 Jahren zur Seite. Sie setzt auf Anprobieren und Beratung, auf diesen Duft von Synthetik. Atmungsaktive Bio-Baumwolle in Naturfarben findet man im Souterrain nicht, aber Polyurethan, Samt und Spitze. Manches ist sexy, manches elegant, manches düster und schwer. So wie die aktuelle Kollektion für den Herren: eine Weste im Stil eines Schwertkämpfers mit »Panzer« aus PVC-Platten. Dazu ein bodenlanger behäbiger Rock und ein schwerer Gothic-Mantel. Am besten dazu noch eine lange Haarmatte … brrr. Wie reimte es sich noch bei Rammstein? »Meine Sachen will ich pflegen, den Rest in Schutt und Asche legen.«

Ebenfalls für den Herrn sind die »Dom«-Stiefel, klotzige Boots für den dominanten Auftritt. Unter den Plateausohlen geht vermutlich jedes Weibchen kreischend in die Knie. Die Miezen-Kollektion ist schon anmutiger: Ladies kombinieren Hotpants zu Punk Tights mit einem roten »Sage Vampire Coat« in Chiffonqualität. Zu den Peeptoe-Miezenschühchen der Frauen sind lackierte Fußnägel natürlich obligatorisch. Hier könnte auch Dita von Teese Schuhe kaufen.


Foto: Dieter Peters
Stars betreten den Laden natürlich öfter. Alice Cooper war schon da, Sixty Nine Eyes, der Visagist von Herbert Grönemeyer, und irgendwann sei auch die Frau von Ronald Reagan mit ihrem Gefolge mal durch die abgesperrte Bergmannstraße gefahren – »die kam dann aber leider nicht bei uns herein. Und letztens war hier dieser Teenie-Star... der mit dem Totenkopf-Gehänge … wie heißt der noch?...Danach rannten uns die Fan-Mädels die Tür ein, weil herauskam, dass er sein Outfit von hier hat.«

Der Laden ist Kult und über die Grenzen hinaus bekannt. Sogar Ossis kamen in den Laden. Schließlich war der Name des Ladens dem vielleicht berühmtesten Werbeslogan der DDR entlehnt: Plaste und Elaste aus Schkopau. »Dabei stand Plaste für starre und Elaste für elastische Kunststoffe«, erklärte erst kürzlich ein Ex-Ossi, der vor langer Zeit bei Plaste & Elaste »auch mal ein Rüschenhemd oder so« gekauft hat. »Die Transit-Wessis haben sich immer darüber lustig gemacht«, dass es drüben Plaste und nicht Kunststoff oder Plastik hieß.

Als Zachrau einmal beim Bundesverwaltungsgericht vorsprach, outete sich sogar der Richter als alter Stammkunde. Das wäre früher undenkbar gewesen. In der Gründungsphase hatten sich die »Bürger« über die Gummi-Röcke im Kiez mächtig aufgeregt und das Schaufenster eingeschlagen. Auch die Schaufensterpuppe, die seit ewigen Zeiten neben der Ladentür steht, ärgerte die alten Kreuzberger: Ein verwegener Typ, das Gesicht zerschrammelt, die Arme hat der Arme irgendwo abgeschlagen bekommen. Dafür aber trägt er ein sexy Harness um den Astralkörper geschlungen. Als Zachrau die Puppe kopfüber ins Fenster stellte, gab es Randale.

Heute geht es friedlicher zu in der Bergmannstraße. Der jungen Verkäuferin, die erst seit zwei Monaten im Laden arbeitet, jedenfalls macht der Job »irre Spaß«. Sie ist gerade damit beschäftigt, einer mit Kajalstift umrandeten Emo-Lady bei der Schnürung des Korsetts behilflich zu sein. Das weinrote Hemdchen mit Hang zur Zwangsneurose sieht ziemlich sexy aus zu den kellerbleichen Schultern und prallen Brüsten. Dazu ein Lackrock mit Schnallen und ein Rüschenhöschen. »Unsere Mode ist inzwischen längst gesellschaftsfähig«, sagt Zachrau. Galabesucher eines großen Berliner Medienhauses hätten sich bei ihm mit schrillen Abendkleidern eingedeckt. »Denn wann darf man sich schon einmal extravagant stylen? Doch eigentlich nur auf Parties.« Aber wie dem auch sei: Auf jeden Fall ist Plaste & Elaste der Laden für die Schönen der Nacht.•




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