Kreuzberger Chronik
Februar 2014 - Ausgabe 155

Reportagen, Gespräche, Interviews

Die Maler von der Gitschiner Straße


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von Aura Cumita
Fotos: Cornelia Schmidt


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Sie kommen ins Haus, um Schach zu spielen, Kaffee zu trinken und sich aufzuwärmen. Und um ihre Bilder zu malen.



Drei Maler. Sie spielen Schach. Radomir gegen Walid und Radomir gegen Karl. Radomir gewinnt gegen beide. Radomir ist sehr gut im Schach, er spielt seit 30 Jahren. Karl verliert meistens. Aber im Malen sei er viel, viel besser, sagt Karl.

Radomir Mohroš ist ein sehr großer Mann mit langem Gesicht, hohen Wangenknochen und kleinen Augen. Er kommt aus Ostrava, einer Industriestadt in Tschechien. Dorthin will er auch wieder zurück. Walid Alezzi kommt aus dem Libanon. Vor 20 Jahren ist er ausgewandert. »Es war richtig schwer, alles fremd: Sprache, Menschen, alles.« Karl sagt, Walid lächle immer, wenn er jemandem ins Gesicht schaut. »Walid, wie invalid, aber ohne in« , sagt Karl. Vielleicht sagt er das, weil eines von Walids Augen größer ist als das andere, weil er meistens eine Mütze trägt und in leicht gebeugter Haltung geht. Und er spricht leise, so als erzähle er ein Geheimnis. »Walid ist sehr freundlich, aber nicht zu freundlich, normal freundlich,« sagt Radomir.

Walid und Radomir kommen von weit her, aber Karl, Karl Kuno, kommt aus Emden. Seit 30 Jahren lebt er in Berlin. Auch Karl spricht leise, auch seine Stimme ist warm. Wenn er lacht, zeigt er seine schönen, starken Zähne. Er hat Kunst in Maastricht studiert, aber von der Kunst kann er nicht leben. Er lebt von Hartz-IV, genau wie Walid. Er hat eine Wohnung in Friedrichshain und kommt mit dem Fahrrad in die Gitschiner Straße, um zu malen. Vor drei Jahren haben sich die drei Maler in der Gitschiner Straße Nummer 15 kennengelernt. Allmählich sind sie Freunde geworden.

Im Café in der Gitschiner Straße sitzen noch mehr Leute. Vorne bei der Tür ein Weißhaariger. Er liest ununterbrochen in einem Buch. Neben ihm ein Mann mit verschränkten Armen. Links von ihm noch ein Mann, der in einer Zeitung blättert. Und hinten, neben der Fahrradwerkstatt, vier Frauen. Eine von ihnen fährt Rollstuhl und gibt ihrem großen Hund kleine Krümel. Und Anweisungen. Der Hund soll gefälligst auf ihre Zigaretten aufpassen, solange sie nicht da ist.

Das Kirchencafé in der Gitschiner Straße ist gut besucht, 40 Cent kostet der Kaffee, einige der Gäste sind obdachlos. Aber viele hier »sind Künstler« , sagt Radomir, »alles gute Seelen. Nur manchmal im Wald verloren« . Walid und Karl lächeln. Auch die Kleiderkammer, die Duschen und das Sozialbüro sind gut frequentiert. Ebenso wie der Musikraum in der ersten Etage.

Das wichtigste aber für die drei Freunde ist das Atelier in der zweiten Etage. Radomir, Walid und Karl steigen nach oben. Das Treppenhaus ist schmal, das Atelier groß, Bilder hängen überall. Paletten mit Öl- und Acrylfarben. Staffeleien und Stühle. Ein Billardtisch und eine Tischtennisplatte. Eine Frau malt gerade ein Bild. Nur drei Farben benutzt sie dabei: Weiß, Gold und Schwarz. Auf dem Bild ist eine junge Frau zu sehen, die den Kopf auf die linke Hand stützt. Sie schaut nach oben. Ihr zur Seite stehen zwei weiße Figuren, Feen vielleicht, Geister, die sie aufzuheben scheinen. Die Frau scheint es kaum zu bemerken, sie wirkt nachdenklich, tief in Gedanken verloren. »Dialektik« heißt das Bild.

Hier oben, in der zweiten Etage, steht auch »Grimmi« : Klein, rundlich, Brille, lange weiße Haare, ein buschiger Bart. Er gestikuliert viel und spricht schnell. Hans-Jürgen Grimm ist der Chef des Ateliers , der Zeichenlehrer des Projektes. Er sagt, er sei ein »Bildforscher. Ich frage mich, wo das Bild anfängt, und wo hört es aufhört.«

Auch Hans Jürgen Grimm spricht mit warmer, freundlicher Stimme. Obwohl er eine andere Idee von Gesellschaft hat. Obwohl seine Stelle hier nur eine befristetete Maßnahme, so eine Art »Beschäftigungstherapie« des Arbeitsamts, und irgendwie ein Schwindel ist. Aber Grimm weiß, dass er für die Kunst arbeitet, nicht für die Statistik des Arbeitsamtes. Er zeigt auf ein Bild von Walid. Da gibt es keinen Schwindel. »In der Kunst gibt es nichts Falsches« . Deshalb macht er hier weiter, auch dann, wenn es nur noch ein Ehrenamt ist.

Foto: Cornelia Schmidt
Walid arbeitet an einem Porträt der Mona Lisa. Seine Mittel sind sparsam, die Pinselstriche mal schmal, mal dick. Walid ist dankbar für das Atelier im 2. Stock. Er ist sogar »ein bisschen bekannt geworden.« 2013 hat man ihn zur dokumenta nach Kassel eingeladen, viele seiner Bilder sind im Internet zu sehen.

Das Café und das Atelier in der Gitschiner Straße gehören zur Gemeinde Heilig Kreuz-Passion. Sie hat vor 14 Jahren das leerstehende Fabrikgebäude mit der Hausnummer 15 in ein soziales Zentrum umfunktioniert. Auf der Fassade steht: Kunst Trotz(t) Armut. Pfarrer Stork glaubt, dass Kunst helfen kann. »Die Hartz-IV-Gesetze, die sich mit dem Thema Arbeit beschäftigen, gehen von einem Unterstützungsbegriff aus, der den Menschen nicht weiterhilft, weil sie unterfordert werden. Die Menschen verlieren allmählich ihre Fähigkeiten.« In der Gitschiner Straße dagegen werden ihre Fähigkeiten wieder gefördert. Hier erhalten die Arbeitslosen ein Stück jener Würde zurück, die sie auf dem Arbeitsmarkt für immer verloren zu haben glauben.

Foto: Cornelia Schmidt
Karl macht sich an die Arbeit. Auf seinem Bild sind zwei Capoeira-Tänzer. Er hat die Konturen schon gestern gemalt. Jetzt kommen der Hintergrund und das Ausmalen. Karl zeigt Bilder, auf denen sind Tauben, Bären, Muslime, Flaschensammler. Ende der Siebzigerjahre verließ Karl, gerade mal 16 Jahre alt, seine Heimat, um Polizist zu werden. In Mainz hatte er dann das Innenministerium bewacht. Aber der Beruf gefiel ihm nicht. Eigentlich wollte er ja noch das Abitur machen. Und eigentlich wollte er malen.

Aber nach dem Studium in Maastricht hat Karl dann ein paar Jahre lang gar nicht mehr gemalt. Erst in Brasilien hat er wieder damit begonnen. »Aber ich bin zu blöde, um meine Bilder zu verkaufen,« sagt Karl. Und wozu auch. »Ich habe Hartz-IV, ich komme über die Runden.« Aber darum geht es nicht. Es geht um die Kunst.

Radomir zeigt ein Zeitungsbild von Marilyn Monroe. »Ich male nur Frauen,« sagt er. Als er die Monroe gemalt hat, war das Bild gleich verkauft. Eine Perle vor die Säue, sagt er, aber er sei eben Profi, er verdiene mit dem Malen Geld. Leider nicht genug. Dafür er hat sich auf den Wänden von über 30 Restaurants und Cafés verewigt. Jetzt möchte er ein Bild von Nelson Mandela auf die East Side Gallery malen. Obwohl das keine Frau ist. Aber man lässt ihn nicht.

Radomir hat auf vier mal zwei Metern das Abendmahl von da Vinci gemalt. Auch die Mona Lisa hat er kopiert, gute Arbeiten, die er für 800 Euro an ein albanisches Restaurant verkauft habe. Drei Wochen hätte er daran gesessen. Radomir bewundert die Technik der alten Meister, die Mona Lisa sei fantastisch. Überhaupt, diese Frauen! »Ich bin eben ein Mann« , sagt er. Zweimal verheiratet, zweimal geschieden. »Üble Sache« . Zwei Kinder. Die seien jetzt erwachsen. Demnächst wird er eine zweite Mona Lisa malen. Ein Geschenk, wenn er zurück nach Tschechien fährt. Für seinen Sohn. »Die Heimatsache« sei »eine Herzenssache.« Seit zwei Jahren ist Radomir nicht mehr dort gewesen, in seiner Industriestadt, wo er Maschinen gebaut und in der Mine gearbeitet hat. »Radomir kämpft richtig viel« , sagt Walid.

Doch nicht alle Maler in der Gitschiner Straße haben ein Zuhause, zu dem sie zurückkehren können. Es gab auch schon welche, die gar kein Zuhause hatten. Mo und Rudi zum Beispiel. Mo, eine alte Frau, kommt manchmal noch hierher, um Kaffee zu trinken. Das Malen hat sie allerdings aufgegeben. Vielleicht sind ihr die Träume ausgegangen. Und Rudi, der richtig viele Bilder hier gemalt hat, wurde von einem Auto überfahren. Jetzt liegt er in einem Heim. Nicht alle haben so viel Glück im Unglück wie Walid. Oder Radomir. Oder Karl.

Karl will eine Pause machen. Er will am Ufer des Landwehrkanals spazieren gehen. Aber Radomir ist unschlüssig: »Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich brauche ein Ziel vor Augen. Eine Ausstellung mit Karl zum Beispiel...« sagt er. Und Radomir hat Zahnschmerzen. Solange er malte, hatte er sie vergessen. Wenn er malt, vergisst er alles. Aber Walid, ohne »in« , hat Schmerztabletten dabei, immer. »Und wir sollen echte Männer sein!« , sagt Radomir. »Der hat keine Haare, und ich habe keine Zähne mehr.« Die Männer lachen, und dann fügen sie hinzu: »Das sollst du aber nicht schreiben... •




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