Kreuzberger Chronik
Dez. 2014/Jan. 2015 - Ausgabe 165

Reportagen, Gespräche, Interviews

Gemecker vor dem Ziegenstall


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von Peters

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Im Rathaus wollte man die Tiere wegrationalisieren.

Aber die Kreuzberger wollten die Ziegen behalten.

Eine Sammlung von Stimmen aus dem Volk.

Ein Sonntag im November, es regnet, im Viktoriapark sind kaum Besucher. Aber vor dem Tiergehege steht eine große Menschentraube, Reporter mit Schreibblöcken und Fotokameras, ein Fernsehteam. Die SPD hat einen Stand mit Propagandabroschüren, die CDU steht ein paar Meter weiter, dazwischen werben die Tierschützer unter einem Sonnenschirm für neue Mitglieder und hoffen auf Spenden.

Ulrike Luther von der Bürgerinitiative steht auf einer Bank und spricht vor laufender Kamera mit kämpferischer Stimme dem versammelten Volk aus dem Herzen, das sich hier versammelt hat, um seine schon verloren geglaubten Ziegen wieder im Park willkommen zu heißen und den Sieg zu feiern. Die Ziegen, die das Bezirksamt in den letzten Jahren ein Vermögen gekostet und an den Rand des finanziellen Ruins gebracht haben sollen, und die, weil ein heftiger Widerstand der tierliebenden Kreuzberger befürchtet wurde, möglichst heimlich, schnell und leise und auf Nimmerwiedersehen ins ferne Marzahn deportiert werden sollten, sind wieder da.

Ulrike Luther bedankt sich für die Unterstützung durch die Bevölkerung, die Medien, den Tierschutzverein, und am Ende sogar noch bei der SPD und der CDU, die sich aus parteipolitischen Gründen im Bezirksamt für die Ziegen stark gemacht hatten und die Gunst der Stunde einer kostengünstigen Werbeveranstaltung nutzen: »Wir waren bestürzt, entsetzt, traurig, erschüttert. Wir haben 3 Wochen lang gekämpft. Und wir haben es geschafft.« Später, etwas leiser, in einem kleineren Kreis, sagt Ulrike Luther zu den Pressevertretern: »Wir waren böse und wir waren laut, aber wir haben uns darauf geeinigt, jetzt nicht mehr nachzutreten.«

Foto: Dieter Peters
»Wahrscheinlich«, sagt ein junger Mann nicht weit entfernt zu seiner Freundin, »hat man sich im Rathaus darauf verständigt, dass die Ziegen wieder zurückdürfen. Aber nur unter der Bedingung, dass die Sache so schnell wie möglich vergessen wird, und kein weiteres böses Wort mehr über den peinlichen Stadtrat verloren wird.«

»150.000 Euro im Jahr soll das bisschen Ziegenfutter gekostet haben - das ist doch lachhaft!«, sagt Michael Müller, der früher die Öffentlichkeitsarbeit für den Senat erledigte. Er kennt das Spiel mit den Zahlen, er kennt auch die Politiker, und er ist noch immer ziemlich gut informiert: »Angeblich soll sich der Panhoff ja entschuldigt haben, aber ich werde trotzdem nie wieder Grün wählen. CDU auch nicht, die stehen ja sonst immer auf der Seite der Investoren. Auf jeden Fall ist so eine Aktion skandalös.«

»Natürlich gibt es größere Probleme als ein paar Ziegen, überhaupt keine Frage. Ich habe 25 Jahre in der Berliner Jugendhilfe gearbeitet!«, sagt Sonja Simonis. »Aber die Entscheidung des Bezirksamtes, die Ziegen in einer »Nacht- & Nebelaktion« abzutransportieren, das hat die Menschen aufgebracht. Ohne den Tierpfleger zu informieren, der sich seit Jahren und ehrenamtlich um die Tiere kümmert. Es geht da um Respekt, es geht um Geld, Macht und Kaltherzigkeit. Auf jeden Fall haben die Ziegen vom Kreuzberg die Menschen einander wieder näher gebracht.«

»Eine große Sauerei ist das! Wie kann man denn so über die Bevölkerung hinweggehen?«, ereifert sich Heidi Schäler, die sogar einen Kuchen gebacken hat für die Feierlichkeiten am Ziegengatter. »Vor vier Wochen standen wir schon mal hier, da wurde nicht gefeiert, da waren die Leute hier alle ziemlich erschüttert. Da herrschte ein Gefühl der Wut und der Machtlosigkeit. Aber ganz so machtlos sind wir eben doch nicht…«

»Ich find das einfach herrlich!«, sagt Herr Paul und zwinkert hinter seiner vom nassen November dick beschlagenen Brille. »Wie die versuchen, so was einfach klammheimlich durchzuziehen. Mitten in Kreuzberg. Als ob hier nicht immer alles ganz genau beobachtet würde. Kreuzberg ist doch bekannt für den Widerstand. Wie kann man denn so naiv sein!?«

»Ich wollte die Ziege sehen. Die dicke weiße. Die sieht mich immer so an!«, sagt Nele, die einen Apfel mitgebracht hat für die Weiße. Aber die Ziegen sind wegen des Menschenauflaufs vor ihrem Gehege einigermaßen irritiert und bleiben lieber auf Distanz. »Ich war immer hier mit meinen Kindern, als sie noch ganz klein waren.«, sagt Bianca Hoffmann, die mit einem Glühwein am Zaun steht. »Aber heute bin ich hier, weil man die Tiere einfach so nach Marzahn abtransportiert hat. Das war bestimmt nicht im Sinn der Ziegen.«

»Man liebt ja seine Ziegen«, sagt Norbert Heuer, der sich um die Tiere kümmerte. Erst war es eine Hartz IV-Maßnahme, ein »Job für Einsfuffzig«. Dann war es Liebe auf den zweiten Blick. Am Ende kümmerte er sich unentgeltlich um die Ziegen, und als der Bezirk sie abtransportierte, reiste er ihnen nach bis nach Marzahn. »Ich hatte ja schon geahnt, dass das passieren würde. Gerüchte gab es ja schon seit Monaten. Aber dann rief eines Tages einer der Pfleger aus der Hasenheide an und sagte: du, Norbert, eure Tiere werden jetzt angeboten. Und am nächsten Tag rief einer vom Rundfunk an und fragte, um wieviel Uhr denn die Ziegen abtransportiert werden sollten. Ich hab gesagt, ich weiß von nix. Das Interesse der Medien jedenfalls war groß, die waren plötzlich alle da. Aber von denen aus dem Rathaus hab ich hier nicht einen gesehen, in den ganzen neun Jahren nicht. Auch nicht an dem Tag, an dem die Ziegen abgeholt wurden.«

Man hatte es nicht für nötig gehalten, den »Ziegenpeter« von der Aktion zu informieren. Als eine Freundin beim Amt anrief und fragte, weshalb man ihn denn nicht rechtzeitig informiert hätte, erhielt sie zur Antwort: »Wir wollten, dass er wenigstens noch eine Nacht ruhig schlafen kann.« •






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