Kreuzberger Chronik
Oktober 2013 - Ausgabe 152

Briefwechsel

Amüsant und charmant


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von Wolfgang Bienhaus

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Wolfgang Bienhaus in einem Leserbrief zur Jubilumsausgabe



Sehr geehrte Kreuzberger!

Ich lese Ihr Stadtteilmagazin seit der Nullnummer und habe fast alle Ausgaben in meinem Regal. Die »Chronik« hat neben einer Sammlung von Merian-Heften, dem Spiegel und einigen Jahrgängen des Freitag einen prominenten Platz. Als ich kürzlich Ihre Ausstellung in der Marheinekehalle besuchte, habe ich beschlossen, Ihnen anlässlich des 150. Heftes und des 15. Jahrgangs zu gratulieren.

Ich glaube, als ehemaliger Literaturdozent ein guter und geschulter Leser zu sein, dem auch leise Töne und versteckte Anspielungen nicht entgehen. Gerade diese leisen Töne, diese leise Nachdenklichkeit, die vielen Lesern womöglich gar nicht auffällt, ist es, die mir die Kreuzberger Chronik so liebens- und lesenswert macht. Die Unaufdringlichkeit Ihrer Botschaft in einer Zeit, in der jeder Politiker, jeder Verkäufer, jeder Autor und jeder Zeitungsmacher zum anbiedernden Versicherungsvertreter wird, ist eine Rarität.

So steht auch das Fazit eines Artikels selten in der Überschrift der Kreuzberger Chronik, ebenso selten gibt der erste Satz die Richtung vor. Das Wesentliche steht lieber zwischen den Zeilen, und immer bleibt Raum genug für den Leser, um seine eigene Meinung zu bilden. Die des Autors steht, wenn überhaupt, am Ende eines Textes.

Diese Haltung der Zurückhaltung, diesen Respekt gegenüber Anderen und Andersdenkenden, hat das kleine Magazin auch in der Ausstellung bewiesen. In der angekündigten »Retrospektive« wurde weniger über die Geschichte der Kreuzberger Chronik berichtet als noch einmal über die Menschen, deren Geschichten im Heft irgendwann einmal erzählt wurden. Es wurde dabei auch an viele unserer Nachbarn erinnert, die schon nicht mehr unter uns sind. Es war rührend, sie noch einmal so groß und in einem so würdigen Rahmen wiederzusehen.

Aber die Kreuzberger Chronik lebt nicht allein von Nachdenklichkeit. Sie lebt auch vom Witz. Und es ist amüsant und schlichtweg charmant, wenn der letzte Raum der Ausstellung in der Marheinekehalle den »zwölf wichtigsten Kreuzbergern« gewidmet wird, und wenn damit keine Bürgermeister oder Schauspieler oder Jungunternehmer gemeint sind, sondern schlicht jene Anzeigenkunden, die das Heft seit 15 Jahren jeden Monat mit einer Werbeannonce unterstützen. Ich hoffe, sie werden es auch weiterhin tun, damit es dieses Kreuzberger Kiezjournal noch möglichst lange gibt. Ein Platz bei Wikipädia ist ja, wie ich gesehen habe, schon für Sie reserviert. Ich gratuliere.

Einer Ihrer treuesten Leser, Wolfgang Bienhaus

Sehr geehrter Herr Bienhaus, Sie haben sicher Verständnis, wenn uns nach so viel Lob schlichtweg die Worte fehlen. Wir hoffen, Sie auch in Zukunft weiter zu unseren Lesern zählen zu dürfen. Zwei Freikarten liegen im Mehringhoftheater für Sie bereit. Die Redaktion


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