Kreuzberger Chronik
November 2013 - Ausgabe 153

Geschäfte

Von Äpfeln, Möhren und Kartoffeln (2):
Alnatura ist ein Supermarkt



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von Horst Unsold

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Lange ist es her, da gab es in der Heimstraße einen kleinen Bioladen, in dem es nach alten Dielen, nach Äpfeln und nach Milch und Käse, Brot und Mehl und immer auch ein bisschen nach der Brandenburger Erde roch, die an den Kartoffeln klebte, die langhaarige Bauern aus dem Umland gegraben hatten.

Den Laden gibt es heute ebensowenig mehr wie die duftenden Feld- und Baumfrüchte. In den heutigen Biomärkten duftet gar nichts mehr, außer den frisch gebackenen Brötchen, die auch bei Lidl Kunden anlocken. Die Biosupermärkte sind so steril wie Apotheken. »Können Sie mir bitte einmal helfen?«, wandte sich ein junger Mann an eine Seniorin, und fuhr fort: »Sie verstehen doch sicher was von Äpfeln. Können Sie mal an den Äpfeln hier riechen? Ich rieche nämlich überhaupt nichts!« - Daraufhin nahm die alte Frau einige Äpfel aus den hübschen Körbchen mit den verschiedenfarbigen Sorten und roch daran. Jedes Mal schüttelte sie den Kopf. »Dabei ist doch Apfelzeit!«, murmelte sie. Dann nahm sie die kleinen grünen Bio-Zitronen und schüttelte abermals den Kopf. »Komisch!«, sagte sie, »Die riechen ja überhaupt nicht mehr.« – »Wahrscheinlich schmecken sie auch nicht mehr!«, sagte der junge Mann und legte Zitronen und Äpfel wieder zurück ins Regal. »Ich stelle mich doch nicht zwei Stunden in die Küche und backe einen Kuchen, der dann nach nichts schmeckt!«

Der biologische Supermarkt am Marheinekeplatz mit seinen Tiefkühltruhen und Glasvitrinen hat nichts zu tun mit den selbstgezimmerten Holzregalen, in denen die ersten Bio-Händler vor 40 Jahren ihre Waren anboten. Auch die Regale im Lager des Bio-Großhändlers sehen anders aus. Im hauseigenen Alnatura-Magazin wird stolz darauf hingewiesen, dass im hessischen Lorsch das »weltweit größte Hochregallager aus Holz« eingeweiht wurde mit Platz für 31.000 Paletten, »verteilt auf 8 Ebenen und 9000 Quadratmeter Grundfläche« – selbstverständlich aus »zertifiziertem Fichten- und Lärchenholz.« Das sind Größenordnungen, die auch der Optimistischste unter den ersten Tante-Emma-Kunden nie für möglich gehalten hätte.

Ebenfalls interessant in der letzten Ausgabe des Werbemagazins ist die hauseigene Mitteilung, dass der Biowarenhändler 8.889,80 Euro für die deutschen Flutopfer sammeln konnte. Drei Wochen lang hatte er pro verkauftem Bio-Dinkel-Hirse-Brot 20 Cent für die »Aktion Deutschland Hilft« gespendet. Wenn man weiß, dass das Soli-Brot für die Flutopfer pro Kilo 4 Euro kostet, und dass es neben dem Dinkel-Hirse noch Roggenbrot, Dinkelgrünkernbrot, Kürbiskernbrot, Leinsamenbrot, Sonnenblumenkernbrot, Pumpernickel und anderes mehr gibt, von denen jedes mehr als drei Euro kostet, dann wird schnell klar, was die neuen Supermärkte allein an verkauften Brotlaiben verdienen, und weshalb in Lorsch Platz für 31.000 Paletten geschaffen werden musste. Dementsprechend umfangreich ist auch das Sortiment am Marheinekeplatz. Es gibt Biowindeln für den biologischen Nachwuchs, in Plastik geschweißte Bioforellen oder Bio-Hackfleisch für etwa 20 Euro das Kilo. Malerisch liegt da das scheinbar gartenfrische Gemüse, dunkel glänzen die Auberginen, rot leuchten die Tomaten - nur duften tun sie nicht. Alles ist duftdicht verpackt. Auch aus der Käseabteilung dringt nicht ein Hauch von Käsegeruch.

Foto: Dieter Peters
An der elektronischen Kasse aber klingelt es, auf dem Fließband türmen die Frauen besserverdienender Männer ihren Einkauf auf wie sonst nur bei Penny und Aldi. Die Verkäuferinnen tragen keine Rastalocken, Glatzen oder Irokesen wie einst bei der LPG am Mehringdamm, sondern gute Haarschnitte. Abgesehen von einem jungen Verkäufer, der seinen biologisch gesunden Haarwuchs mit einer Art Kopftuch bändigen muss. Eher unbiologisch, sondern professionell gut gelaunt sind die Verkäuferinnen und Verkäufer an der elektronischen Kasse, die den ganzen Tag über diese kleinen Glückskäfer aus Schokolade vor der Nase haben, auf die Muttis und Papis zum Abschluss ihres biologischen Einkaufes zugreifen, um ihre Kinder oder Ehepartner noch ein wenig mit alternativer und politisch korrekter Ökoschokolade zu beglücken.

Am wenigsten biologisch aber sind die Kunden. Auch ihnen entströmt nicht der zarteste Duft. Sie benutzen duftlose Deodorants. Während bei Karstadt und im KDW zumindest die Kosmetikabteilung noch mit olfaktorischen Ködern lockt, rümpft man in der biologischkorrekten Kosmetikabteilung am Marheinekeplatz bei künstlichen Duftnoten natürlich die Nase. Im Gegensatz zum üblichen Kreuzberger wandeln sie regelrecht durch die Regale, demonstrieren einen luxuriösen Überschuss an Zeit, während der gemeine Kreuzberger, der sich von zwei verschiedenen Minijobs und etwas Schwarzarbeit nebenbei ernähren muss, in rasender Eile durch die Regalreihen saust. Alnaturas Kunden haben mit alternativen Lebensentwürfen, Schweiß im Hemd und Lehm an den Schuhsohlen nichts mehr zu tun. Sie sind die geborenen Mittelklässler, tragen große Geldbörsen, dezent-bunte Sommerkleider, manchmal Bügelfalten an beigefarbenen Hosen und machen ein verärgertes Gesicht, wenn sich jemand nicht brav in die Warteschlange einreiht.

So wie kürzlich der ältere Herr mit der Sahne. »Aber ich habe doch nur die Sahne!«, versuchte er sich zu entschuldigen. »Ich kaufe hier immer nur Sahne, die aus dem Berchtesgadener Land, die ist einfach super, die müssen Sie auch mal...« Doch als der biologische Sahneliebhaber in die unendlich lange Reihe verständnisloser Gesichter aus Westdeutschland blickte, stellte er sich schweigend ganz hinten in der langen Schlange an. •





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