Kreuzberger Chronik
März 2013 - Ausgabe 145

Geschäfte

Edeka am Kottbusser Damm


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von Michael Unfried

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Einst gab es eine Aldi-Filiale am Kottbusser Damm. Doch der musste einem Biodiscounter weichen. Aber noch gibt es Edeka.


Es gibt kleine und große Geschäfte. Die kleinen Geschäfte handeln mit Strümpfen, Brötchen, Kaffee und Kuchen, Kurzwaren oder Schreibwaren. Die großen Geschäfte handeln mit Autos, Möbeln, Lebensmitteln aller Art.

Am Kottbusser Damm, wo die Grenze verläuft zwischen dem mondänen Kreuzberg 65 und dem Newcomer Neukölln 67, gibt es noch kleine Geschäfte. In ihnen wird oft türkisch gesprochen, es gibt Obst und Gemüse, Nüsse und Kaffee, Nähzubehör, Brautkleider, Brillen und Zigaretten. Für den kostengünstigen Großeinkauf von Lebensmitteln gab es ziemlich genau in der Mitte des Kottbusser Damms eine Aldi-Filiale.

Hier trafen sich Welten. Hier kreuzten sich die Wege der Junkies vom Kotti am nördlichen Ende mit denen der besserverdienenden Mittelklasse vom Hermannplatz am südlichen Ende des Damms,
Foto: Dieter Peters
die sich zuerst an Karstadts Edelfischtheke und in der Weingalerie bedienen, um dann beim kostengünstigen Discounter Mehl, Zucker, Toilettenpapier und eventuell noch eine Flasche Aldi-Champagner zu kaufen. Der ja, wie viele Prominente behaupten, auch nicht schlechter sei als der Champagner bei Karstadt.

Aldi war nicht die Mitte des Kottbusser Dammes, es war der Mittelpunkt eines Universums. Alles kreiste um Aldi, vom Kiehlufer im Osten bis zum Urbankrankenhaus im Westen. Hier begegneten sich Kreuzberg und Neukölln, tratschten die Professoren aus den Dachetagen am Maybachufer mit den Sozialhilfeempfängern in ihren kilometererprobten Turnschuhen.

Seit einigen Wochen aber irren die Menschen vom Kottbusser Damm verloren die Straße auf und ab. Es ist, als wären sie aus der Umlaufbahn geworfen worden. Immer wieder gehen sie die vertrauten Wege und stehen plötzlich vor der Tür dieses Ladens, den sie seit vielen Jahren zwei oder drei Mal in der Woche betraten. Aber dann steht plötzlich ein fremder, englisch klingender Name über der Tür. Die schmucklose, immer etwas schmuddelige Aldifiliale, zwischen deren übervollen Regalen sie sich wie im Schlaf zurechtfanden, deren Kassiererinnen sie an guten Tagen mit einem Lächeln und an schlechten Tagen mit einem Murren begrüßten - so gut kannte man sich! - gibt es nicht mehr. Diesen Laden, wo es noch Mehl für 45 und Milch für 54 Cent gab, wo noch geflucht, geschimpft, geknutscht und über politisch unkorrekte Witze laut und dreckig gelacht werden konnte, gibt es nicht mehr. Jetzt wird sanft gelächelt. Der Boden glänzt wie in einem Autosalon, die Beleuchtung könnte aus Karstadts Lampenabteilung stammen, und die Lebensmittel sind zum Leben für die Leute vom Kotti zu teuer.

Wo sich einst halb Kreuzberg auf die Füße trat, wo die Einkaufswagen Mangelware waren und die Schlangen vor der Kasse so lang, als gäbe es Freikarten für ein Stones-Konzert, weil sich dort auch die Hartz-IV-Empfänger noch Sekt und Ziegenkäse leisten konnten, ist kein Mensch mehr zu sehen. Leer sind die Kassen, gelangweilt schauen die Kassiererinnen in die Ferne.

»Was kostet denn das kleine Baguette dort?«, fragt ein älterer Herr mit einem gut gefüllten Rucksack auf dem Rücken und deutet auf eine Baguettestange, kaum größer als zwei Brötchen. »2,75«, sagt die Blonde. Der ältere Mann kramt schon in der Jackentasche nach den Münzen, da hält er plötzlich inne und sagt: »Nee, das mach ich nicht. Das geb ich dafür nicht aus! Das sind ja nur 250 Gramm. Das macht dann zehn Euro für ein Kilo Brot! Da mach ich nicht mehr mit. Da geh ich lieber zurück zu Edeka!«

In der kleinen Edeka-Filiale, nur ein paar Meter weiter Richtung Karstadt, ist es beinahe so voll wie einst bei Aldi. Obwohl der Laden viel kleiner ist, die Gänge viel schmaler sind. Platz für Einkaufswagen gibt es nicht, hier gehen die Einkäufer noch mit dem Körbchen am Arm spazieren, stehen zu fünft vor der kleinen Käsetheke, stehen Schlange vor der kleinen Tiefkühltruhe, warten geduldig, bis endlich das Baguette fertig gebacken ist.

»Das ham wir och noch nich gehabt, dass ich um 19 Uhr noch mal Baguette in den Ofen schieben muss!«, sagt die Frau an der Kasse. Aber Edeka liegt jetzt voll im Trend. Edeka ist die letzte Zuflucht der Schlechterverdienenden. Der letzte Nabel der Welt. Hier gibt es den Piccolo für einen Euro, den billigen Käse, gerieben oder in Scheiben, luftdicht eingeschweißt und haltbar bis 2014.
Foto: Dieter Peters
Hier wird nicht gelächelt, wenn eine Kundin der Kassiererin das Rückgeld noch mal unter die Nase hält, weil sie glaubt, die resolute Dame am Fließband habe sich verrechnet. »Bei uns wird nicht beschissen, junge Frau, hier isser doch, ihr blöder Fünfer!«, sagt die Kassenfrau und deutet auf den kleinen Schein, den sie auf dem grünen Biomilchtetrapack abgelegt hat. »Na, nun haben Sie sich mal nicht gleich so. Das ist ja wie bei Aldi bei Ihnen!«, sagt die Kundin. »Na Gott sei Dank!«, sagt die Kassiererin.

»Ja, das ist schon traurig!«, schaltet sich der ältere Herr ein, der nun endlich sein Baguette in den Händen hält. »Was mischen Sie sich denn da ein?«, keift ihn die Kassiererin an. »Nee, ich mein ja nur, dass das schon traurig ist, wenn die Bio Company jetzt schon Aldi verdrängt. Und das am Kottbusser Damm! Das müssen Sie sich mal klar machen, was das bedeutet!«, sagt der Mann mit dem Baguette. »Da ham Se recht!«, sagt die Verkäuferin. »2,75 wollten die für ein Baguette von mir!«, sagt der Mann. - »Ich bekomm 72 Cent!«, sagt die Verkäuferin. •






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