Kreuzberger Chronik
Juli 2013 - Ausgabe 149

Geschichten & Geschichte

Die Frauen von Eintracht Südring


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von Werner von Westhafen

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In den Siebzigerjahren begaben sich die Frauen auf den Vormarsch. Statt des Minirocks trugen sie jetzt Latzhosen und Fußballtrikots

von Werner von Westhafen

Im Juli 2009 starb mit Willi Boos das letzte Gründungsmitglied des BSC Eintracht/Südring. Eines Sportvereins, der nie große Triumphe feierte, und dessen Sportplatz zwischen der Post am Marheinekeplatz und dem Leibniz-Gymnasium vor allem ein Platz für Kreuzberger, nicht für Elitesportler war. Willi Boos setzte auf eine sportliche Freizeitbeschäftigung, wenn es darum ging, die vaterlose Jugend der Nachkriegszeit von der Straße zu holen. Der Sportlehrer, ein entschiedener Gegner des Naziregimes und überzeugter Kommunist, wurde 1948 wegen seiner politischen Gesinnung aus dem Lehrdienst entlassen und erfüllte seinen pädagogischen Auftrag fortan bei »Eintracht/Südring«. 1979 erhielt »Kommunistenwilli« für seine engagierte Arbeit das Bundesverdienstkreuz, und das Stadion, das früher schlicht »Stadion an der Gneisenau« hieß, erhielt nach dem Tod jenes Mannes, der 60 Jahre lang dem Verein vorstand, dessen Namen.

Als Boos beigesetzt wurde, sollen Hunderte am Grab erschienen sein. Von den alten Kampfgenossen aber dürften nur wenige zugegen gewesen sein, denn der Sportsmann, der seine Fußballerkarriere als Zwölfjähriger bei »Frisch-Frei Niederschöneweide« begann und sie als Siebzigjähriger, noch immer »schlank wie eine Gerte und zäh wie eine Katze«, im Altherren-Team seines Vereins beendete, wurde 99 Jahre alt. Drei Monate fehlten ihm noch zum Jahrhundert.

Karriere machte er jedoch nicht als aktiver Fußballer, sondern als Spiritus rector. Überhaupt waren die Fußballer des »BSC Eintracht/ Südring 1931«, wie der Verein mit vollem Namen heißt, nicht die erfolgreichsten. Bekannter waren die Badmintonspieler der Kreuzberger Eintracht, die mehrfach die Deutsche Meisterschaft gewannen. Dennoch war auch in der Eintracht die Fußballmannschaft das heimliche Herz des Vereins. Denn in den Siebzigerjahren saß das Volk sonntags nicht vor dem Fernseher, es traf sich auf dem Fußballplatz. Es kamen hunderte von Zuschauern, auch zu den Spielen der Kreuzberger Kicker von der Gneisenaustraße. Das freute den Verein, denn der Eintritt betrug schon damals zwei Mark, und die Platzkassiererin hatte strikte Anweisung, niemanden umsonst auf den Platz zu lassen. »Die erzählten natürlich alle, sie wären vom Gastverein. Ich hab dann den Vereinsausweis verlangt, aber den hatten sie natürlich vergessen.«

Willi Boos, dem langjährigen Vorsitzenden des einträchtigen Südrings und ehemaligem Chef des Finanzausschusses der Berliner Ballspielvereine, sowie später des Berliner Fußball-Verbandes, kamen die Nebeneinnahmen nur recht. Der Kommunist »besaß einen ausgeprägten Geschäftssinn«, erzählt ein ehemaliger Fußballer. »Er hatte ein gut gehendes Sportgeschäft in der Zossener Straße, später verkaufte er Zigarren.« So ein Branchenwechsel wäre heute anrüchig.
Doch auch in Sportvereinen wurde immer auch an die Kasse gedacht. Es war bekannt, dass auch kickenden Amateuren nach erfolgreichen Spielen gern kleine Geldpäckchen zugesteckt wurden, die Zuschauer wollten etwas sehen für ihr Geld. Ende der Siebziger kam man sogar auf die Idee, zur Stärkung der Vereinskasse auch Frauen auf den Rasen zu schicken. Die feministische Hochburg Kreuzberg mit ihren Latzhosenträgerinnen war das geeignete Pflaster für die Gründung einer Frauenmannschaft. Herr Stempnierwsky, damals 1. Vorsitzender beim BSC, war von der Idee wenig begeistert. Doch auch ihm war klar, dass Frauenfußball »eine Attraktion« war. In Spandau, wo die erste
Berliner Damenmannschaft formiert wurde, war das Stadion voll. Dass die männlichen Zuschauer weniger aus sportlichem Interesse, sondern aus Lust am Lästern und am Amüsieren kamen, störte höchstens die aktiven Damen.

Stempnierwsky sagte zu seiner Frau Doris: »Wir gründen eine Frauenmannschaft, und du wirst die Spielerinnen organisieren.« Also machte sich die Frau auf die Suche und sprach alle an, die sportlich aussahen, in der Heimstraße, der Fidicinstraße, der Arndtstraße. Bis sie eine Elf zusammenhatte. Und weil der Frauenschaft noch eine rechte Verteidigerin fehlte, wurde Doris zur rechten Verteidigerin. Unvergesslich ist ihr jener Regentag, an dem sie sich, um die teure Frisur nicht vollends zu ruinieren, kurzerhand eine blonde Perücke überstülpte. Die ihr im Eifer des Gefechtes glatt vom Kopf gerissen wurde. Zur großen Freude aller Schaulustigen.

Die erste Kreuzberger Frauenfußballmannschaft war erfolgreich – zumindest, was die Zuschauerzahlen anging. »Es war immer voll, wenn wir spielten.« Und Herr Stempnierwsky, der dieser ganzen Angelegenheit anfangs noch so skeptisch gegenüber gestanden hatte, sagte nun manchmal nicht ohne Stolz: »Meine Frau spielt da auch mit«. Auch wenn er seiner Doris noch Privatunterricht im Hof erteilte.

Dennoch stieg die Doris aus der Heimstraße später zur Spielführerin auf, zum Schluss der Fußballkarriere war sie die Betreuerin der Nachwuchsmannschaft. Sie ist unter den Damen fast so unvergessen wie der alte Willi Boos unter den Herren, und noch heute kann es passieren, dass sie auf der Bergmannstraße plötzlich angesprochen wird und jemand sie fragt: »Na, Frau Stemmi, wie gehts denn jetzt so ganz ohne Fußball?« •


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