Kreuzberger Chronik
Dez. 2013/Jan. 2014 - Ausgabe 154

Reportagen, Gespräche, Interviews

Geschäfte mit Fremden - Teil 2


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von Michael Unfried

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Foto: Dieter Peters
Ein Mann mit Rollkoffer kommt die Straße entlang, sucht nach einem Schild an der Wand. Er findet keines. Er holt einen Zettel aus der Tasche und vergleicht die Hausnummer. Er nickt. Es ist die Hausnummer 6.

Das Haus in der Mittenwalder Straße war einmal ein typisches Kreuzberger Haus: Das Vorderhaus vornehm mit Stuck, Balkonen und Erkern, ein Quergebäude und im zweiten Hof die Remise und noch einmal ein querstehendes, ehemaliges Fabrikgebäude aus Backstein mit hohen Fenstern und Schornsteinen. Es ist eine Idylle. Fahrräder lehnen an den Wänden, Efeu klettert über die Mauern, überall stehen Blumenkübel, die einst schmucklosen Hinterhofwände und die Durchfahrten sind bunt bemalt. Junge Leute scheinen hier zu wohnen. Und in einer kleinen, ganz von wildem Wein überwucherten Remise aus altem Fachwerk versteckt sich hinter hohen Oleanderbüschen ein kleines Restaurant: Die schon sagenumwobene Hostaria del Monte Croce.

Doch das italienische Restaurant ist die Ausnahme. Andrea Borgioni, der seit über dreißig Jahren im Hinterhof der Nummer 6 kocht und guten Wein einschenkt, ist das letzte Original. Häuser und Höfe sind frisch renoviert, auch wenn die Farbe schon wieder abblättert und der Efeu die Dübel für das gerade montierte Klettergerüst schon wieder herausgerissen hat. Wo einst der Dachboden war, sind teuere Sonnenterrassen, und in den denkmalschutzlosen Wohnungen der Hinterhöfe wurden schmucklose Kunststofffenster eingesetzt, um die Mieten zu erhöhen. Ganz hinten, im geräumigen Fabrikgebäude mit den großen Fenstern, haben sich die Internationale Varieté-Akademie und ein Tanzstudio eingemietet, sowie die Urban Gladiators mit ihrem »Daytraining-Livestyle-Studio«. Im Hof sind keine kleinen Geschäfte mehr, die sich Reißender Absatz oder Grober Unfug nennen, auch die Galerie im Vorderhaus verkündet ihre Öffnungszeiten nur noch auf Englisch. Und in den Durchfahrten und an den Wänden haben sich keine Kreuzberger Spraydosenkünstler verewigt, sondern es handelt sich um Auftragsarbeiten. Von Künstlern, die womöglich in der Galerie Fellini ihre Kataloge auslegen dürfen.

Der Mann mit Rollkoffer steht noch immer im Hof und sucht. Als ihm eine junge Frau mit einem Fahrrad entgegenkommt, fragt er: »Wissen Sie, wo hier die Rezeption ist?« – Die junge Frau ist keine alte Kreuzbergerin, sie hat einen englischen Akzent und ist hilfsbereit. »Sie müssen vorne in die Galerie gehen, gleich neben der Einfahrt links.«

Foto: Dieter Peters
Vor drei Jahren verkaufte der Verein »Islamische Kulturzentren«, dem das Haus gehörte, die Immobilie an eine Firma namens Insel Real Estate. Der Investor begann, tatkräftig unterstützt von vier Hausverwaltungen in drei Jahren, unverzüglich mit den Räumungsarbeiten. Zuerst wurden die Wohnungen des »Haus Sonnenschein«, die als Notunterkünfte für Obdachlose dienten, renoviert. Der Senat erhob keinen Einspruch. Auch die Ausbildungsstätte für Jugendliche in der Ladenwohnung neben der Galerie und die Moschee im Hinterhof mussten schon bald die Mittenwalder Straße verlassen, und den Mietern im Haus drohte man mit Mieterhöhungen oder Kündigungen, wenn die Kinder im Hof zu laut spielten. Die Korrespondenz mit den Hausverwaltungen beschränkte sich schon bald auf schwierige juristische Auseinandersetzungen.

Die entmieteten Wohnungen wurden umgehend umgebaut. Namensschilder allerdings wurden keine mehr angebracht, und statt neuer Mieter tauchten in den Höfen immer mehr junge Leute auf, unter ihnen viele Asiaten mit Rollkoffern. Sie verschwanden nach wenigen Tagen wieder, und den Mietern im Haus war schnell klar: Aus den Mietwohnungen waren Ferienwohnungen geworden.

Die ratlosen Bewohner suchten Rat im Rathaus. Sie brachten ihr Anliegen in einer Bezirksverordnetenversammlung vor, sprachen von so genannter »sanfter Entmietung« und fragten den zuständigen Stadtrat Panhoff: »Was gedenken Sie dagegen zu tun?« Der Stadtrat war bereits tätig gewesen und erläuterte, dass den Eigentümern des Hauses von einem Hotel nichts bekannt sei. Diese seien bereits aufgefordert worden, schriftlich Stellung zu nehmen, aber das hätte die Insel Real Estate abgelehnt. Wirklich eingreifen könne man erst, wenn nachgewiesen sei, dass es sich hier tatsächlich um eine Umwandlung von Mietwohnungen in Ferienwohnungen handele.

Die Bewohner auf den Zuschauerbänken im Rathaus wurden laut. Es gebe eine Rezeption, ein Zimmermädchen, die gesamte Mieterschaft der Nummer 6 könne bezeugen, dass hier ein regelrechter Hotelbetrieb stattfinde. Was man denn da noch an Nachweisen bräuchte. »Wie kann es sein, dass das Bezirksamt eigentlich schon davon weiß, aber nichts dagegen tut.« Baustadtrat Panhoff erklärte nun ausführlicher, dass per definitionem eine Wohnung erst dann eine Ferienwohnung sei, wenn sie nicht durchgängig, sondern weniger als 28 Tage im Monat vermietet werde, und dass es noch andere dieser Kriterien gebe. Erst wenn diese erfüllt seien, könne man aktiv werden. Natürlich weiß auch der Stadtrat, dass es für Wohnungseigentümer viele Möglichkeiten gibt, eine Ferienwohnung auf dem Papier wie eine Mietwohnung aussehen zu lassen. »Aber Sie haben, meine Damen und Herren, teilweise zu optimistische Ansichten, wie weit wir überhaupt eingreifen können. Wir arbeiten doch schon am neuen Gesetz, ich kann Ihnen versichern, dass wir gegen Missbrauch vorgehen werden.«

Doch auch zwei Monate nach der Bürgeranfrage in der BVV gibt es »nichts Neues« im Fall Mittenwalder Straße. So zumindest verlautet es aus dem Sekretariat des Baustadtrates. Genaueres könne nur der Sachbearbeiter sagen. Der aber »darf sich dazu leider nicht äußern.« Nicht nur aus dem Roten Rathaus, auch aus dem Kreuzberger Rathaus dringt nur noch an die Öffentlichkeit, was die Zensur durchlaufen hat.

Auch von dem viel zitierten neuen Gesetz ist kaum eine Änderung zu erwarten. Es ist eine Farce, ein Täuschungsmanöver. Nur in Wohngebieten, in denen laut Senat »die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist«, soll die Umwandlung von Miet- in Ferienwohnungen kontrolliert und eingeschränkt werden. Die Vermietung einer Ferienwohnung ist dann »nur noch nach Absprache mit den Bezirksämtern« erlaubt. Sie ist also prinzipiell weiterhin erlaubt, auch in Kreuzberg, Mitte oder Prenzlauer Berg. Die Eigentümer müssen sich nur eine Genehmigung holen. Und sie werden sie bekommen.

Denn das Geschäft boomt, und der Senat und seine Bezirke könnten mitverdienen. 50.000 Euro Strafe sollen in die Staatskasse fließen, wenn Wohnungseigentümer gegen das neue Gesetz verstoßen. Was an Gebühren für außerordentliche Genehmigungen und an möglichen Steuern für eine offizielle gewerbliche Nutzung zusammenkommen könnte, ist nicht abzusehen. Über 10.000 Ferienwohnungen stehen in Berlin offiziell zur Verfügung und locken Kundschaft an. Im Internet wirbt »Penelopes Garten« mit der Fotografie einer Hängematte im Grünen für eine Zweizimmerwohnung ab 55 Euro die Nacht, »In 3 Gehminuten finden Sie die Bergmannstraße mit vielen Restaurants, Tanzbars einer Markthalle und kleinen Läden.« In der Urbanstraße 34/35 werden unter fewo-kreuzberg.de gleich zehn verschiedene Wohnungen angeboten. Ein Blick in den Belegungskalender beweist, wie groß die Nachfrage in Berlin ist: Zumindest an den Wochenenden sind die Zimmer meist für drei Wochen im Voraus gebucht.

Foto: Dieter Peters
Auch 100-Quadratmeter-wohnungen hat Kreuzberg im Angebot, ab 1150 Euro die Woche. Das wären immerhin 4600 Euro im Monat. Die Wohnungen in der Mittenwalder Straße sind nicht so groß und auch nicht auf den üblichen Portalen für Ferienwohnungen zu finden, sondern auf der Website der Fellini Gallery. Fotografien zeigen Doppelzimmer, Einzelzimmer, ausgebaute Dachetagen. Der Text gleicht dem aller anderen Ferienwohnungsanbieter: »Das FELLINI Künstlerstudio befindet sich im lebhaften und dynamischen Bergmann Kiez in Kreuzberg (...). Unsere Wohn- und Arbeitsstudios sind weiträumig, mit großen Fenstern und hohen Wänden, und wurden vor kurzem renoviert, bewahren jedoch ihre schöne europäische Architektur« und befinden sich »in der Nähe der populären Bergmannstraße mit zahlreichen Geschäften, Bars und Restaurants. Der malerische Landwehrkanal samt Park befindet sich zwei Straßen nördlich und ist für Künstler zum Malen, Spazierengehen und Fahrradfahren geeignet. Jeden Juni zieht der Karneval der Kulturen in Kreuzberg mehr als 1,5 Millionen Besucher an. Unser Angebot besteht sowohl aus lang- und kurzfristigen Mietverträgen, als auch der Möglichkeit zur Ausstellungskooperation mit unserer international bekannten Galerie.«

Der Mann mit dem Rollkoffer betritt die Galerie. Eine Asiatin hinter dem weißen Laptop lächelt. »May I help you?« – » A friend told me, that you have rooms to rent. I would like to stay for christmas. Do you know, how much these rooms are?” – «Yes, we have rooms, but I don´t know, how much they are. You have to send an email.” Eine Besichtigung ist leider nicht möglich. Die junge Frau lächelt ein freundliches, aber undurchsichtiges asiatisches Lächeln, und überreicht dem jungen Mann eine Karte. •



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