Kreuzberger Chronik
April 2012 - Ausgabe 136

Herr D.

Der Herr D. und die Bäume


linie

von Hans W. Korfmann

1pixgif
Der Herr D. wunderte sich. Jedes Mal, wenn er von den kargen griechischen Inseln oder den sandigen Wüsten der Türkei heimkehrte, wunderte er sich, wie grün diese Stadt war. Wenn er dann im Taxi saß und durch die Berliner Alleen fuhr, vorbei an all den von der Natur begrünten Nachkriegsbrachen, den von Bäumen flankierten Kanälen und den großen alten Parkanlagen, dann sagte der Herr D. zu dem türkischen Taxifahrer: »Berlin ist wunderbar.« Woraufhin der Türke in aller Regel eher stumm nickte.

Der Herr D. wunderte sich auch, als er eines Morgens aus der Tür trat und nach wenigen Metern auf eine Gruppe von Kindergartenkindern stieß, die alle in eine Richtung blickten. »Und morgen kommt noch ein großer Bagger, noch ein viel größerer, ein riesiger Bagger, und der baggert auch die anderen Bäume alle aus«, begeisterte sich ein kleiner Knirps.

»Und das findet ihr gut, dass hier alle Bäume umgesägt werden?«, fragte der Pädagoge. »Bagger sind doch super, ich will auch mal Baggerfahrer werden«, sagte der Knirps.

»Naja!«, sagte der Herr D., »Aber tun dir die Bäume nicht leid? Da kann man Baumhäuser reinbauen, dranpinkeln, und oben wohnen tausend zwitschernde Vögel, die dir was vorsingen.« – »Egal«, sagte der Junge, »die gibts im Park auch. Ich will Baggerfahrer werden.«

Der Herr D. betrachtete die Lichtung, die vor der Monumentenbrücke entstanden war. Es war keine idyllische Lichtung im Wald, keine helle, von der Sonne beschienene Wiese mit hohen Gräsern, Käfern und durch die Luft surrenden Insekten, sondern ein Feld der Verwüstung mit zerborstenen Baumstümpfen, kreuz und quer übereinander gestürzten Baumriesen, Bauzäunen und Verbotsschildern. Vor der Monumentenbrücke, wo nach dem Krieg ein Wäldchen entstanden war mit Bäumen, deren Wipfel längst an die Giebel der Wohnhäuser stießen, hatte man die Kettensägen sprechen lassen.

»Das ist schon ein trauriges Bild!«, sagte der Herr D. »Wenn man früher von Schöneberg über die Brücke nach Kreuzberg lief, dann sah man auf dieses Wäldchen.«

»Das war ein echter Überraschungsangriff!«, sagte der Pädagoge. »In einer Nacht- und Nebelaktion, und unter Polizeischutz, haben die hier alles dem Erdboden gleichgemacht.«

»Und die Bäume dahinten kommen auch noch weg!«, rief begeistert der kleine Baggerfahrer. Der Pädagoge lächelte und sagte zum Herrn D.: »Der Vater ist Architekt, und Alwin durfte auch schon mal Bagger fahren.«

»Ja.«, sagte der Herr D. »Als ich noch mit Lego spielte, wollte ich auch mal Architekt werden. Ich hab aber dazugelernt. Im Gegensatz zu anderen. Die wollen auch als Erwachsene nichts als Baggerfahren, Häuser bauen und Geld verdienen.« •


zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg