Kreuzberger Chronik
Februar 2011 - Ausgabe 124

Geschichten & Geschichte

Geschichten um den 18. März (1):
David Kalisch und der Kladderadatsch



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von Erwin Tichatschek

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Sicher ist, dass einiger Wein geflossen ist, als David Kalisch und sein Trinkgenosse Albert Hofmann über der Idee eines Witzblattes brüteten. In Hippels Weinstube soll es gewesen sein, in der Nähe des Alexanderplatzes, doch kursieren Gerüchte, dass sich die Beiden anschließend in den Schutz des Dusteren Kellers am Kreuzberg zurückzogen, wo einst schon Turnvater Jahn die Befreiung von den Preußen (vgl. Kreuzberger Chronik Nr. 111) anstrebte, und wo schon Goethe (vgl. Kreuzberger Chronik Nr. 109) nach jungen Mädchen Ausschau hielt. Kalischs Vorliebe für den »Monte Cruce« jedenfalls ist hinlänglich belegt, nach einer Besteigung des Hügels schrieb der Satiriker, der sich in Paris als erfolgloser Dichter, aber erfolgreicher Fremdenführer durchgeschlagen hatte: »Hier oben..., wo die Verderbnis der Städte, die Unmäßigkeit des flachen Landes noch keine Wurzeln geschlagen hat...« Der Aufbruch aus Hippels Weinstube dürfte zu fortgeschrittener Stunde stattgefunden haben. Jedenfalls wurde erzählt, dass ein Hund, der durchs Lokal lief, Kalisch zum Straucheln brachte, sodass er den Tisch anrempelte und Flaschen und Gläser auf den Boden fielen. Der Buchhändler Hofmann, der Zeit seines Lebens ein schwerer Stotterer war -allerdings aus der Not eine Tugend gemacht und 1840 seine »Anweisung zur Radikal-Heilung Stotternder nach eigenen Erfahrungen« herausgegeben hatte -begann beim Anblick des Scherbenhaufens zu stottern, während Kalisch nur »Kladderadatsch« rief. Damit war, so die Legende, der Name des erfolgreichsten preußischen Witzblattes gefunden. »Kladderadatsch«, das stand in den Anfängen des Jahres 1848 nicht nur für ein allgemeines Durcheinander, sondern auch für den politischen Scherbenhaufen, den die Aufstände des März hinterlassen hatten.

Einen Tag vor dem Gründungsgelage des Kladderadatsch hatte Adolf Glasbrenner das erste seiner »Freien Blätter« herausgegeben. Es wird erzählt,

auch er sei bei der fröhlichen Runde dabei gewesen. Überliefert ist lediglich, dass »die originelle Formulierung der Erscheinungsweise des Blattes« von ihm stammte: »Täglich außer an den Wochentagen.« Der Untertitel »Organ von und für Bummler« dagegen war Kalischs Idee. Mit den Bummlern aber meinte er keine Vagabunden, sondern jene, die in den Tagen nach der Revolution an all den angeschlagenen neuen Zeitungen entlangbummelten, um sich über den Lauf der Geschichte zu informieren.

Der Kladderadatsch war ein Kind der Morgenröte, euphorisch sahen die Herausgeber einer neuen Zeit entgegen, siegesgewiss verkündeten sie in der ersten Ausgabe: »Die Zeit ist umgefallen! (....) – Die Preußische Allgemeine, die Vossische, die Spenersche, - Gesellschafter, Figaro und Fremdenblatt haben aufgehört zu erscheinen – Urwahlen haben begonnen, - Fürsten sind gestürzt – Throne gefallen – Schlösser geschleift – Weiber verheert – Länder gemißbraucht – Juden geschändet – Jungfrauen geplündert – Priester zerstört – Barrikaden verhöhnt – Kladderadatsch.«

Die erste Ausgabe war in 24 Stunden ausverkauft. Schon in der dritten Ausgabe traten die Barone Strudelwitz und Pudelwitz auf, deren bissiger und zeitkritischer Briefwechsel zu einer festen Einrichtung der Satirezeitschrift wurde. Fiktive Figuren wie »Schulze und Müller« bereicherten den Diskurs mit Dialogen über politische Ereignisse, Glasbrenner wurde Gastautor, die ständigen Autoren Ernst Dohm und Rudolf Löwenstein waren bald als »Gelehrte des Kladderadatsch« bekannt. Berühmt wurden die »Bismarck-Gedichte«, die den Konservativen seine ganze Karriere über verfolgten. Kalisch selbst schuf den ewigen Quartaner Karlchen Mießnick und übernahm auch den Bankier Zwickauer, die Karikatur eines Vertreters der jüdischen Finanzkreise. So kamen im Kladderadatsch anstelle gewichtiger Autoren mit erhobenen Zeigefingern stets fiktive Figuren zur Sprache, wunderbare Zwitterwesen in einer Welt zwischen Literatur und Journalismus, die heute ausgestorben sind.

Von den 155 verschiedenen Blättern, - darunter 33 satirischen Zeitschriften wie der »Berliner Krakehler« oder der »Tante Voss mit dem Besen« -die nach dem März 1848 in der gerade errungenen Pressefreiheit auf den Markt flatterten, war der Kladderadatsch das einzige, das die konterrevolutionären Ereignisse im November 1848 überstand. Gleich zweimal verbot der königstreue General Wrangel das Blatt, doch Kalisch und Hofmann verkündeten, sie würden weitermachen – um jeden Preis. Doch der Preis, den sie zahlten, war hoch: Immer mehr Beiträge fielen der Zensur zum Opfer, das Blatt musste sich anpassen. 50 Jahre nach Kalischs Tod war vom revolutionären Charakter nichts geblieben, und nach dem misslungenen Putsch von München lobte das Blatt sogar Hitlers patriotische Gesinnung. Eine Karikatur zeigte Heinrich und Thomas Mann auf dem Schoß eines als Sowjetkommunisten verkleideten Karl Marx - jenes Mannes, den Kalisch stets verehrt hatte. Das Blatt war angetreten, um die Welt zu verändern. Am Ende verändert die Welt das Blatt. •


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