Kreuzberger Chronik
April 2011 - Ausgabe 126

Das Essen

In der Affenhütte


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von Saskia Vogel

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Sas ist überrascht. In der Möckernstraße 103 steht alles im Zeichen der Primaten: An der Eingangstür hängt ein Gorillaporträt, auf dem Tresen lachen Plüschtier-Affen zwischen den Schnapsflaschen, und die Cocktails heißen »Schimpanse« und »Pavian«. Den Kaffee, den der Wirt für Sas brüht, könnte sogar ein arbeitsloser Schimpanse bezahlen. »Ein Euro«, ruft Sas, »das ist aber günstig!« -»Tja, hmm«, sagt traurig der große Wirt und hebt die Schultern. In der Kasse klimpern ein paar einsame Münzen.

»Die ganze Klassentreffen-Mannschaft wollte kommen, dann saßen wir hier zu viert«, erzählt er einem alten Affenfreund am Tresen. Der kleine drahtige Mann mit den zurückgegelten Haaren ist neben Sas der einzige Gast. »Tja, weeste, vielleicht wird dafür die Kostümparty ´ne dufte Numma.« Doch der Wirt ist heute nicht aufzumuntern: »Irgendwie habe ich im Gefühl, die Party wird ein Flop.«

Dabei ist die Affenhütte ideal zum Feiern. Sas bestellt noch einen Kaffee. »Sehr gerne«, sagt höflich der Wirt, entnimmt ein Kondensmilchdöschen der Tupperbox, die sofort wieder verschlossen und zentimetergenau an den angestammten Platz geschoben wird. Flaschenöffner und Korkenzieher liegen parallel nebeneinander, die Dartpfeile sind akkurat aufgereiht, auf der Anrichte sind Gesellschaftsspiele aufgestapelt, im rechten Winkel, die Siegessäule und Flyer über HIV-Schnelltests. Die Affenhütte ist eine Herrenbar im Zeichen des Regenbogens. Es gibt frische Rosen auf dem Tresen und am Boden steht ein Wassernapf. Falls ein durstiger Hund vorbeikommt.

Doch es kommt keiner. Sas ist traurig. Sie findet, dass die Affenhütte ein paar Gäste mehr verdient hätte, und zwar anständige Gäste - und zu späterer Stunde vielleicht auch mal ein bisschen unanständigere. Wo sind sie denn, diese ganzen Berliner »Partyschwuletten« und »Teekesselchen-Tucken«, von denen Biggy van Blond in den einschlägigen Szene-Magazinen immer schrill faselt? Könnten die mit ihrem von Freitag bis Dienstag reichenden Party-Potenzial nicht auch in der Affenhütte vorbeitanzen? Oder passt zur Affenhütte kein rosafarbenes Glitzerpublikum? Vielleicht sind das eh´ alles nur Klischees. Sas kennt sich in der Berliner Herrenbar-Szenerie nicht so aus.

Sie jedenfalls würde die Affenhütte gerne zu ihrem Geburtstag mieten. Im hinteren Raum der Hütte ist es dunkelrot schummrig und sexy verspiegelt. Sas´ Gäste könnten an lackschwarzen Cocktail-Tischchen Platz nehmen und der DJ würde Minimal-Electro durch die Boxen jagen. Es gäbe »Schimpansen-Cocktails« für alle und 100 Tassen Kaffee für 100 Euro. Und außer einem Lederganzkörper-Catsuite würde Sas nicht viel tragen. Sie würde sich eine der Affenmasken von der Wand reißen und wild um die eigene Achse drehen. In der Affenhütte, irgendwo am Rand der Baustelle. •


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