Kreuzberger Chronik
Mai 2010 - Ausgabe 117

Herr D.

Der Herr D. und Irmgard vom Frauenladen


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von Hans W. Korfmann

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Der Herr D. sah von den Nachrichten nur noch den Wetterbericht. Der geldgierige Handel mit Sensationsmeldungen, Namen und Gesichtern langweilte ihn. Kürzlich aber freute er sich, als er das prominente Gesicht des freundlichen Meteorologen aus dem Fernsehen sah. Er dachte, das könne eine schöne Geschichte über Frühjahrsstürme, Eiszeiten oder heiße Sommer werden. Doch nach wenigen Zeilen musste er feststellen, dass es um das Intimleben des Wetterfrosches ging. Und dass der Frosch im Kerker saß.

Er las trotzdem weiter. Wegen eines Unschuldverdachtes. Weil er dem Frosch eine Prinzessin wünschte. Er verfolgte das Thema sogar mehrere Tage lang und ärgerte sich, wenn die Zeitungen sich um das Image des freundlichen Wetterpropheten sorgten, um anschließend seitenlang über ihn zu berichten. Da traf er einige Tage später, als der Frosch längst wieder von den Zeitungsseiten verschwunden war, Irmgard. Sie arbeitete bei einem feministischen Frauenschutzverein, und fragte schon zur Begrüßung: »Und was hältst du von diesem Kachelmann?« - »Ich kenne ihn nicht!«, antwortete der Herr D.

Der Herr D. erinnerte sich, wie er Irmgard kennen gelernt hatte. Damals hingen in ihrem Frauenladen Fahndungsfotos von drei unrasierten Männern. Darunter stand: »Diese Männer sind Mädchenvergewaltiger. Sie leben unbehelligt in ihrem familiären und sozialen Umfeld. Es sind Männer, die Sie kennen. Euer Lehrer, Euer Ehemann, Dein Vater!« Der Herr D. hatte sich gefragt, was ein Kind empfinden würde, wenn es diese Zeilen las. In diesem Moment war Irmgard aus der Tür des Frauenladens getreten. »Na, auch so einer?«- »Wie bitte?« - »Sie können mich mal, Sie alter Wichser!« – »Blöde Lesbe!« Sofort hatte sich im ersten Stock ein Fenster geöffnet, zwei Frauen ihre rothaarigen Köpfe herausgestreckt und gerufen: »Schwanz ab, Schwanz ab!« Der Herr D. hatte prophylaktisch die Flucht ergriffen.

Inzwischen war er ein unerschrockener Kreuzberger, plauderte mit Irmgard auf der Straße, trank mit Lesben Bier. »Ich frage mich, warum Kachelmanns Freundin diesen schmierigen Krieg öffentlich austragen muss? Und warum alle Medien mitschmieren«, klagte der Herr D. - »Weil es unanständig wäre, drüber wegzuschauen!« antwortete Irmgard. »Es ist ebenso unanständig, immer draufzuschauen!«, sagte der Herr D.

Sie diskutierten, fast war es wie damals, da öffnete sich das Fenster. Die rothaarigen Köpfe waren grau geworden, und für den Bruchteil einer Sekunde sah der Herr D. den Angeklagten vor einem Tribunal aus lauter grauhaarigen Jungfrauen. Von Prinzessin keine Spur. •

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