Kreuzberger Chronik
November 2009 - Ausgabe 112

Reportagen, Gespräche, Interviews

Kreuzberg zu verkaufen


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von Michael Unfried

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Kreuzbergs Marktwert steigt. Also wird gekauft und verkauft. Haus für Haus, Straße für Straße. Und während die Immobilienhändler verdienen, verlieren die Bewohner ihre Heimat.


ES WAR im Februar des Jahres 2000, als sich im Wasserturm Bürger und Politiker trafen. Es ging um die Renovierung der Altbauten im »Chamissokiez«. Die Kreuzberger waren skeptisch. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass die Herren mit den gestärkten Kragen die Häuser nur den Bewohnern zuliebe verschönern wollten. Sie befürchteten profitorientierte Mieterhöhungen und Privatisierungen.
Tatsächlich mussten die Politiker und der Vertreter der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft im Verlauf des Abends einräumen, dass nach der Sanierungsphase auch Häuser der Gewobau zum Verkauf kommen könnten. Doch das sei kein Grund zur Beunruhigung, die Einnahmen würden schließlich der Gemeinde zufließen und den Bürgern zugute kommen. Das Gelächter im Turm war laut.

Zehn Jahre danach ist Berlin finanziell ruiniert. Gelder, die aus dem Verkauf von Immobilien in die öffentlichen Kassen fließen, kommen nicht mehr bei den Bürgern an, sondern verschwinden im Schuldenberg. Und aus dem einstigen Hausbesetzerkiez ist ein Hausbesitzerkiez geworden; wo es einst noch Wohnungen zum Nulltarif gab, wird nun um Quadratmeterpreise gezockt. Die Entwicklung ist rasant: Während vor drei Jahren das Angebot an Eigentumswohnungen die Nachfrage noch überwog, kann das Angebot heute die Nachfrage nicht befriedigen. 3.300 Wohnungen wurden in den vergangenen fünf Jahren zum Verkauf angeboten, anfangs zu einem Quadratmeterpreis von ca. 1.300 Euro. Inzwischen ist der Marktwert auf 2.100 gestiegen.
In einem wahren Kaufrausch hat die dänische Immobilienfirma Taekker nach Monopoly-Manier in Kreuzberg eingekauft, darunter so schmucke Fassaden wie in der Arndtstraße, der Bergmannstraße oder der Riemannstraße. Nach eigenen Aussagen hat die Firma allein »in den letzten Monaten« etwa 200 Häuser »mit insgesamt fast 4.000 Wohnungen, vor allem in Kreuzberg und Friedrichshain« aufgekauft. Noch vermietet der dänische Investor seine Wohnsitze, doch nun scheint die Firma auch in das Geschäft mit den Eigentumswohnungen einzusteigen. »Man kann«, so ein Vertreter der Firma gegenüber einem Journalisten, »doch niemandem vorwerfen, dass er hier leben will.«
Damit möglichst viele hier leben wollen, wirbt Taekker auf seiner Website mit dem »wunderschönen Victoriapark« und der »beliebten Bergmannstraße mit ihrem riesigen Angebot von Kulturleben, kleinen Läden, Restaurants und Cafés«, sowie mit dem »schönen Chamissoplatz, dessen beschauliche Atmosphäre für viele etwas ganz besonderes ist.« Doch jenseits der virtuellen Scheinwelt ist Taekker gerade dabei, mit Mietpreisen von 5 bis 9 Euro pro Quadratmeter genau jene aus dem Viertel zu vertreiben, die diese Atmosphäre überhaupt geschaffen haben. Und die dafür Sorge tragen könnten, dass es so »beschaulich« bleibt.

Eine von jenen ist Manuela Röttger. Vor 30 Jahren eröffnete sie in der Körtestraße eine der ersten Bio-Bäckereien überhaupt. Die Gründer von Rapunzel und Demeter waren ihre Studienkollegen, und den kleinen Laden nannte sie voll optimistischer Romantik Kreuzberger Brotgarten. Jahrelang blühte der Garten, doch kürzlich stand ein Professor von der Charité in der Tür. An seiner Seite strahlte eine Amerikanerin, die sich die Backstube ansehen wollte und vor lauter Entzücken ständig »how nice« und »ooooh lovely« rief. Bei dem netten Pärchen handelte es sich um die neuen Hausbesitzer, zwei Monate später hielt die Bäckerin ihre Kündigung in der Hand. Jetzt gibt es den Brotgarten nicht mehr. Nur das Schild ist geblieben.
Doch nicht nur Gewerberäume in guter Lage, auch Mietwohnungen an lauten Straßen sind längst zu Spekulationsobjekten geworden, und Mieter, die zu lange und zu günstig wohnen, sind den Wohnungshändlern ein Dorn im Auge. Um sich ihrer zu entledigen, geraten die Spekulanten nicht selten an den Rand der Kriminalität.
Schon vor Jahren berichtete ein Mieter aus der Bergmannstraße von Bedrohungen. Der neue Eigentümer hatte zunächst die polnischen Arbeiter, die das Dachgeschoss zu Eigentumswohnungen ausbauten, angewiesen, Baumaterialien und Schutt vor Ostermanns Wohnung zu lagern. Als Ostermann trotz ständiger Belästigungen standhaft blieb und die Wohnung nicht aufgab, drohte man damit, noch ein bisschen unangenehmer zu werden: »Wir wissen auch, wo ihre Freundin mit ihren Kindern wohnt.« Ostermann suchte sich daraufhin eine neue Wohnung.

Foto: Dieter Peters
Auch Gabriele Gutenberg, einst beim Mieterrat vom Chamissoplatz und keine ungeschickte Mieterin, hat keine Ruhe mehr, seit das Haus in der Fidicinstraße von einem Privatier gekauft wurde. Immer wieder versucht der Besitzer, die widerspenstige Mieterin loszuwerden. Nun denkt sie ans Ausziehen. Es ist unheimelig im Haus geworden. »Spät abends steht plötzlich der Vermieter mit Papieren in der Hand an der Wohnungstür«, führt Buch über den Aufenthalt des Wochenendbesuchs und bezichtigt die Mieterin der Untervermietung. Ständig ist der Briefkasten aufgebrochen, und am Fahrrad fehlen plötzlich Schrauben.
Die Zermürbungstaktik ist unter Hauseigentümern beliebt. Auch in den Sendelbachhöfen, in der Kopischstraße Nr. 1, haben die meisten Bewohner bereits aufgegeben. Nur zwei Mieter haben sich halten können, einer im Vorderhaus und einer im Seitenflügel. Das Hinterhaus steht schon seit Jahren leer, doch vor den Fenstern einer leeren Wohnung im ersten Stock hängt eine Vision der Immobilienhändler, die andeutet, was einmal werden könnte aus den Sendelbachhöfen: Ein zum Neubau umsanierter Altbau mit Mietwaben in der »Althausperle« und frisiertem Rasen frisch vom Reißbrett. »Sichern Sie sich ihren individuellen Lebensraum!«, fordert die Welthaus Consult GmbH unter den Entwürfen der Architekten ihre Kunden auf. Nachdem sie andere zuvor aus ihrem Lebensraum verdrängt hat.

Auch in der Katzbachstraße Nr. 5, einem Haus mit Stuck und Intarsien im Parkett, wenn auch eingekeilt zwischen graustirnigen Mietshäusern einer stark befahrenen Straße, ging eine Mieterin in den Widerstand, als der Hauseigentümer mit Wohnsitz in Kalifornien mit dem Sanieren begann. Frau Schader blieb standhaft, als die meisten bereits ausgezogen waren, das Geländer im Flur mit verschimmelten Teppichen abgehängt wurde und der Staub der Renovierungsarbeiten durch alle Türritzen drang. Als die Haustür ausgebaut wurde und sich Obdachlose einschlichen, klagte sie vor Gericht. Und bekam Recht. Die Tür wurde wieder eingebaut.
Ein Jahr später aber zog auch Frau Schader aus. Eines Tages hatte eine nette Frau mit Handtasche vor ihrer Tür gestanden und wollte reden. Die Immobilie hatte offenbar den Besitzer gewechselt. Wenig später saß die resolute Mieterin im noblen Büro eines »Porschefahrers mit Handtäschchen«, und nannte eine Summe. Trusthouse, ein Partner der Viktoriapark Grundbesitz Gmbh, lenkte ein und zahlte anstandslos Abstand. Danach soll die Wohnung für 360.000 Euro ihren Eigentümer gewechselt haben.
Womöglich waren es Frau Schaders »168 Quadratmeter am Fuße des Kreuzbergs«, die zuvor in der New York Times inseriert waren. Denn wie das Mieter Echo recherchierte, handelte es sich bei besagten 168 Quadratmetern um eine Eigentumswohnung in der Katzbachstraße Nummer 5. Unter dem Hinweis darauf, dass die »historische Nachbarschaft von türkischen Immigranten in den letzten Jahren einen Prozess der Gentrifizierung erfahren hat«, versuchte die Viktoriapark Grundbesitz GmbH etwaige Vorurteile der Interessenten an der berühmt-berüchtigten Wohngegend auszuräumen.
Foto: Dieter Peters
Ein paar Häuser weiter oben ist der »Viktoriapark-Grundbesitzer« nochmals fündig geworden und hat gekauft. Seitdem, so einer der Mieter, »verkommt das Haus« mit der Nummer 18 zusehends. »Es wird ständig irgendwo herumgebastelt, der Hof ist voller Schutt, die glänzenden Gründerzeit-Fliesen im Treppenhaus wurden dick mit Farbe überstrichen. Vollkommen sinnlos!« Jetzt sollen die Fassade renoviert und ein Fahrstuhl eingebaut werden. Und die 40 Quadratmeter sollen dann nicht mehr 270, sondern 410 Euro kosten. Die Wohnung im Vorderhaus, die zuvor 750 Euro kostete, soll nach der umstrittenen Modernisierung dann fast das Doppelte kosten. Noch wehren sich die Mieter, haben sich sogar gemeinschaftlich als Käufer angeboten, doch die Grundbesitzer haben bereits ihre Anwälte eingeschaltet, um die aufmüpfigen Kreuzberger auszuschalten.
So wird gezockt im Kiez. Auch die Wohnungen in Riehmers Hofgarten, mit Millionen an Steuergeldern aufwendig restauriert, (vgl. Kreuzberger Chronik Nr. 94) sollen nun zum privaten Eigentum werden. Schon im Februar 2008 beklagten sich die Mieter über den hohen Leerstand und vermuteten, dass die irischen Investoren die Wohnungen in Eigentum umwandeln wollten. Bestätigt wurde der Verdacht von offizieller Seite nie. Inzwischen aber verdichten sich die Gerüchte zur Gewissheit, und auf die Anfrage eines Mieters in dem denkmalgeschützten Ensemble hatten die Besitzer bereits eine konkrete Vorstellung vom Preis des Quadratmeters: 3.000 Euro hätten sie gerne.

Nicht nur die Wohnungen, auch viele Gewerberäume in Riehmers Hofgarten stehen inzwischen leer. Die Teelese am Kreuzberg ist ebenso ausgezogen wie Optik Riehmers Hofgarten. Der Makler, der hin und wieder Interessenten durch die ebenerdigen Immobilien mit Garten führt, antwortet auf neugierige Fragen mit einer Gegenfrage: »Spekulativer Leerstand?« Nicht ohne Witz und Charme führt er durch die großen Räume, verlangt 10 Euro für den Quadratmeter, »selbstverständlich kalt«, und spricht angesichts eines lichtscheuen Appartements nicht ohne Stolz vom »teuersten Keller Berlins«. Es wird gezockt, sogar mit Steuergeldern. Doch es geht nicht nur um Geld. Auf dem Spiel steht nicht weniger als der Lebensraum der Kreuzberger. Sie müssen gehen. Nach und nach. Dafür kommen andere. »Man kann«, würde Taekker nun sagen, »doch niemandem vorwerfen, dass er hier leben möchte!« Doch man kann es auch niemandem vorwerfen, dass er hier wohnen bleiben möchte. Und dass er keine zehn Euro zahlen kann. Doch die Zehn-Euro-Mieter drängeln, sie stehen Schlange zu den Besichtigungsterminen, angezogen von einer billigen Berlin-Reklame, lauter gut verdienende Mittelklässler mit Mittelklassewagen und Mittelklassefrau. Der gut erzogene, gut angezogene, langweilige deutsche Durchschnitt. Menschen, die niemals den Fuß in das Viertel gesetzt hätten, als Kreuzberg noch im Schatten der Mauer lag. Und die Kreuzberg niemals zu dem hätten machen können, was es geworden ist. •

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